Persönlicher Rückblick auf ein Leben in den 1930er Jahren

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Ansprechender Auftakt einer historischen Triologie, beginnend im Nationalsozialismus und beruhend auf einer wahren Lebensgeschichte.

Die Autorin Alexa Hennig von Lange lehnt ihren Roman „die karierten Mädchen“ an das Leben und die Karriere ihrer eigenen Großmutter an, welche mit über 90 Jahren in blindem Zustand ihr Leben auf über 130 Tonkassetten aufnahm.
Lange Zeit scheute sich die Autorin wohl diese Kassetten anzuhören, doch nachdem sie es tat, war sie inspiriert zu dieser Triologie. Wir erleben die Geschichte als Leser aus dem Blickwinkel der über 90 jährigen blinden Klara, die noch alleine zu Hause lebt und beginnt ihr Leben für die Nachwelt auf Tonkassetten aufzunehmen. Sie erinnert sich immer weiter an ihr Leben und nimmt uns mit in ihre Vergangenheit.

Mit Anfang 20 war sie eine junge Lehrerin und nahm eine Stelle in den 1930er Jahren in der Kinderheilstätte Oranienbaum, nahe Dessau an. Schnell lebte sie sich in diesem Heim ein, das auch eine Heilstätte für an Tuberkulose erkrankte Kinder war und auch Kinder von der Fürsorge übernahm und aufzog. Als Hauswirtschaftslehrerin brachte sie ihnen alle Fertigkeiten für den Haushalt bei und schaffte es im Verlauf zur Heimleitung aufzusteigen. An ihrer Seite immer ihre gute Freundin Susanne und gemeinsam kämpften sie für die Kinder und den Fortbestand des Heims auch in schwierigen Zeiten. Als die Politik sich änderte und die Nationalsozialisten an die Macht kamen, galt es sich zu entscheiden wie die Zukunft aussah und das Überleben des Heims zu sichern.

Dieses Buch ist eine Art persönlicher Blick in die Vergangenheit und gibt zudem einen Blick auf das damalige Rollenbild der Frau preis. Klara beginnt zu Ende der Weimarer Republik ihre Arbeitsstelle und scheint eine selbstbewusste, zielorientierte Frau zu sein. Sie wird authentisch beschrieben und so wie ihr, ging es vielleicht vielen Frauen damals. Sie musste arbeiten um ihre Familie finanziell zu unterstützen und schaffte es dadurch auf eigenen Beinen zu stehen. Als ein politischer Umbruch kam, scheint sie dies zunächst gar nicht richtig zu bemerken und fügt sich in einige neue Gegebenheiten, um das Heim am Laufen zu halten. Als der Nationalsozialismus immer mehr voran schreitet fügt sich Klara ihrem Schicksal, passt sich an, macht sogar Karriere und schaut an manchen Stellen nicht so genau hin. Es wirkt auf mich authentisch, denn nicht jeder war im Widerstand, sondern viele versuchten vielleicht einfach zu überleben, passten sich an oder realisierten erst spät, was um sie herum geschieht. Die Rolle der Frau veränderte sich wieder und Klara sollte nun in dem zum Frauenlandheim umfunktionierten Kinderheim Frauen beibringen perfekte Hausfrau, landwirtschaftliche Arbeiterin und Mutter zu sein. Sicherlich hat Klaras Karriere in dieser Zeit und ihr Fügen dazu geführt, dass sie erst spät für ihre Familie ihr Leben auf den Kassetten aufnahm.

Dieser Rückblick gibt ein interessantes Bild von Klaras beruflichem Leben mit dem Beginn ihrer Liebesbeziehung zu ihrem Mann Gustav und wir erleben mit, wie man sich nach und nach dem nationalsozialistischen Regime anpassen und unterordnen musste.
Der Schreibstil ist flüssig, sehr anschaulich erzählend und es geht häufig auch um Alltagsbeschreibungen. Teilweise entstehen dadurch einige Längen, dennoch fühlte ich mich gut unterhalten und in die Zeit zurückversetzt. Auf dem eher schlichten und dennoch ansprechenden Cover ist eine junge Frau abgebildet, die vermutlich für Klara stehen soll.
Die Protagonisten, insbesondere Klara, wirken nahbar und authentisch. Klara ist zielstrebig und findet in Gustav einen liebenswerten Partner. Ihre Freundin Susanne symbolisiert kritische Stimmen gegenüber dem Nazi-Regime und zeigt die Unfähigkeit etwas dagegen tun zu können. Zugleich erfährt man wie unterschiedlich die politischen Ansichten innerhalb einer Familie sein können und wie schnell es geht, dass Menschen dazu überlaufen.

Wer gerne in eine persönliche Lebensgeschichte zu Beginn des Nationalsozialismus eintauchen möchte, der ist bei diesem Buch richtig. Es bleibt spannend und folgt in den nächsten Bänden, was die Protagonistin Klara in ihrem weiteren Leben erlebt und auf Kassetten gesprochen hat.