Ungereimtheiten

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Nach einer Leseprobe hatte ich mich auf das Buch sehr gefreut, denn ich habe bereits andere Bücher der Autorin gelesen, die mir sehr gefallen haben, insbesondere 'Kampfsterne' und 'Die Weihnachtsgeschwister', in denen die Autorin sehr realistisch das menschliche Miteinander, Freundschaften, soziale Abgründe und Disharmonien beschreibt. Meine Erwartungshaltung ging in diese Richtung, aber da wurde ich leider enttäuscht.
Klara, 91 Jahre alt, beginnt Kassetten zu besprechen, um ihre Vergangenheit noch einmal lebendig werden zu lassen, denn als Leiterin eines Kinderheims kommt sie als junge Frau in den 30er Jahren nicht umhin, mit den Nationalsozialisten zu kooperieren, denn die wirtschaftliche Situation ist alles andere als gut. In diesem Heim wird eines Tages das jüdische Mädchen Tolla abgegeben, zu dem sich Klara sehr hingezogen fühlt, da es allein vom Erscheinungsbild her ihre Tochter sein könnte. Außerdem hat sie Mitleid mit dem Kind und möchte es vor dem Waisenhaus bewahren. Als die Situation immer schwieriger wird, gibt sie Tolla als ihr eigenes Kind aus und verbrennt seinen Geburtsschein. Nahezu zeitgleich plant sie mit den Nationalsozialisten die Umstrukturierung des Kinderheims zu einer Ausbildungsstätte für junge Frauen in der politisch gewünschten Ausrichtung.....
Sehr gefallen hat mir der Schreibstil der Autorin, der keine Langeweile aufkommen lässt, auch in den Passagen, in denen nicht wirklich viel passiert. Das Buch ist abwechslungsreich geschrieben, in ständigem Perspektivwechsel zwischen der jungen Lehrerin Klara und der alten Klara, die ihre Memoiren auf Band spricht.
Von Beginn an wird die junge Klara als nahezu perfekt geschildert. Sie ist eine vortreffliche Lehrerin, versorgt ihren Bruder postalisch mit vorgefertigten Hausaufgaben, unterstützt ihre Eltern finanziell, ist literarisch gebildet, bei allen beliebt usw. Auch möchte sie ihre Schülerinnen zu selbstständigen jungen Frauen erziehen, die sich beruflich bilden und sich nicht von einem Mann abhängig machen. Das hört sich gut an, und auf den ersten Blick scheint Klara auch diesem Ideal entsprechend zu leben. Leider passt dazu aber überhaupt nicht ihr absolutes Desinteresse an der Politik, was dann auch dazu führt, dass sie die Gefahren der Nazi-Diktatur nicht erkennt bzw. nicht erkennen will. Sie sieht nur die finanziellen Vorteile und man fragt sich, ob sie wirklich so blind ist, die Realität nicht zu erkennen. Das bildet einen großen Widerspruch zu ihrer sonstigen Haltung und erscheint mir nicht nachvollziehbar. Der zunächst vielseitige Charakter der Klara verwandelt sich damit zu einer immensen Oberflächlichkeit. Schade....!
Ich hatte damit gerechnet, dass die alte Klara auf diesen Widerspruch eingeht, aber auch hier war nur Stillschweigen.
Auch andere Unstimmigkeiten werden für mich nicht gelöst. Ist es wirklich möglich, dass die alte Heimleiterin das neue Baby im Heim nicht bemerkt oder ihr diese Nachricht zugetragen wird? Selbst wenn sie krank ist, erscheint mir dies unwahrscheinlich. Und wird Tolla nicht im Amt als Waisenkind geführt? Da muss es doch noch irgendwelche Dokumente geben....
Ich hoffe, dass die folgenden zwei Bände dieser Trilogie etwas mehr Tiefgang bieten und Ungereimtheiten ausgeklammert werden.