Ein brisantes Thema

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gudrun_4 Avatar

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Dieses Buch behandelt ein Thema, dass vermutlich sehr viele angeht: die Darstellung der Privatsphäre von Kindern im Internet, das Marketing mit Kindern und die daraus möglicherweise erwachsenden Folgen, unmittelbar oder auch erst viel später.
Die Autorin zeichnet das Bild einer Mutter, Melanie, die ihre Kinder im Internet vermarktet und überzeugt ist, ihnen damit nur Gutes zu tun. “Die Kinder sind Könige” betont sie in der Öffentlichkeit. Ihr gegenüber steht die Polizistin Clara, die diese virtuelle Welt in solch einer Ausprägung überhaupt nicht kannte und eine Kindesentführung aufklären muss, die anscheinend auf solche Medien zurückgeht.
Solange die Autorin erzählt, ist der Stil flüssig und gut zu lesen. Die Charaktere sind so gezeichnet, dass man ihre Handlungen und Motive versteht, ja sogar Mitgefühl entwickeln kann. Im Fall von Melanie gelingt mir das immer schlechter, obwohl ich begreife, dass sie die Defizite ihrer Kindheit und Jugend den eigenen Kindern ersparen will. Mir ist ihre Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen ihrer Kinder unheimlich. Die Lebensläufe von Melanie und Clara werden in Rückblenden teils mosaikartig, teils chronologisch sehr ausführlich erzählt. Das erklärt viele ihrer Motivationen und Verhaltensmuster.
In jedem Kapitel sind Vernehmungsprotokolle und systematische Analysen der Youtubevideos eingefügt. Die heben sich von der Erzählung schon durch ein geändertes Schriftbild deutlich ab. Das sieht zwar auf den ersten Blick sehr technisch aus, zerhackt auch scheinbar die Handlung, sorgt aber auch dafür, dass sich das Bild der handelnden Personen rundet, besonders die Kinder betreffend.
Claras akribische und scharfsinnige Ermittlungsarbeit und ihr immer wieder dabei aufkommendes Entsetzen über die Mechanismen im Milieu der Influencer lassen auch beim Leser den Atem stocken.
Auch wenn der Roman streckenweise sehr dokumentarisch wirkt, sorgen überraschende Wendungen immer wieder für Spannung. Sehr gelungen finde ich das in die Zukunft verlegte Ende des Romans.
Das ganze Buch ist eine Fiktion. Zum Glück, möchte man meinen. Doch es ist auch eine sehr beklemmende Analyse unserer aktuellen Welt der sozialen Medien.
Dieses Buch sollten Eltern lesen. Doch ob es solche obsessiven Influencer wie Melanie in die Finger kriegen, wage ich zu bezweifeln.