ein gutes buch, doch die autorin hat sich stellenweise verzettelt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
blätterwald Avatar

Von

Ich mag diese französische Autorin sehr und habe die meisten ihrer Bücher gelesen. Umso gespannter war ich auf ihren neuen Roman, der sich mit einem sehr brisanten und aktuellen Thema befasst. Es geht um die Welt von Instagram und Co, um all die Influencer und Follower. Um die Welt des Scheins, in der Realitäten ausgeblendet werden, um etwas zu suggerieren, was so nicht immer ist.
Dieser Roman wurde in zwei Teile aufgeteilt, wobei ich nicht weiß, ob es diesem Roman unbedingt guttut. Ich bin immer noch ein wenig hin-und hergerissen, wenn es um diesen Roman geht. Melanie wird in ihrer Jugend mit dem Realitiy -Show Virus infiziert und lebt diese Sucht extensiv aus mit ihrer Familie, ihrem Mann und ihren beiden Kindern, Sammy und Kimmy. Sie betreibt einen sehr erfolgreichen YouTube Kanal. Das wird im ersten Teil sehr gut und ausführlich beschrieben. Als Gegenspieler tritt Clara, die Ermittlerin, auf. Nüchtern und pragmatisch, wie sie ist, wird sie durch die Entführung von Kimmy, der Tochter Melanies, in diese ihr fremde Welt hineingezogen. Sie schaut sich all die Videos und Posts an, um im Fall des entführten Kindes voranzukommen, um zu verstehen, was hier überhaupt passiert ist.
Sprachlich ist dieser Roman auf dem gewohnt guten Niveau der Autorin. Sie behandelt ihre Figuren immer sehr pfleglich und weiß, Situation und Gedanken sehr gut darzustellen und vergisst nie ihre Leser. Selbst die Videos kann sie sehr drastisch und deutlich schildern. Doch ist dieser Roman für mich irgendwie zu sehr schulmeisterlich, da wird zu sehr mit der moralischen Keule geschwungen, ohne aber letzten Endes genau zu wissen, wohin.
Es werden alle Aspekte, die negativen insbesondere, der Social Media-Szene beleuchtet. Was an sich nichts Schlechtes ist, sondern eher das Gegenteil. Dieses Zurschaustellen, selbst der kleinsten privaten Details, birgt massive Gefahren, erst recht, wenn dann wie hier im Roman beschrieben, kleine Kinder mit involviert sind, die darauf keinen Einfluss haben. Die Kinder bekommen im zweiten Teil eine direkte Stimme.
Die Entführung der kleinen Kimmy wird gelöst, wenn auch anders, als es zu erwarten war. Der zweite Teil setzt Jahre später ein, Kimmy und Sammy sind erwachsen. Aber gerade hier beginnt der Roman, für mich jedenfalls, flüchtig zu werden. Da soll viel auf wenig Seiten erzählt werden. Vieles wird erklärt und man versteht einiges aus dem ersten Teil besser. Nur habe ich das Problem, dass es nicht ausgereift ist. Vielleicht liegt es auch an den beiden Figuren, den gegensätzlichen Frauen Clara und Melanie. Sie sind nicht nur unterschiedlicher, wie zwei Frauen es sein können. Ihnen fehlt irgendwo doch die Tiefe, die im ersten Teil des Romans durch die vielen Ereignisse übertüncht worden konnte. Weder Melanie noch Clara können sich wirklich entwickeln, sie sind schematisch wie scheinbar auch das ganze Social -Media Leben. Einmal in ein Schema gepresst, kommen sie nicht wieder heraus. Sammy und Kimmy werden erwachsen, selbstständiger und man kann nur erahnen, wie es ihnen geht und das wird im zweiten Teil auch dargestellt, wenn auch nicht immer auf die ansonsten souveräne Art und Weise der Autorin.
Es ist ein gutes Buch und ein wichtiges Buch, das sehr zum Nachdenken anregt. Ein Buch, welches man regelrecht verschlingt. Ein Buch, an dessen Ende ich mich gefragt habe, was genau die Autorin alles erzählen wollte. Zum Ende hin hatte ich das Gefühl, sie wollte noch sehr viel erzählen, hatte aber nicht mehr viele Seiten zur Verfügung. Ich bin nicht enttäuscht, doch ein wenig mehr hatte ich von der Autorin erwartet.