Erneut überzeugt Delphine de Vigan mit Sogwirkung bis zum Schluss!

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miss_atticos Avatar

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2001: Mélanie liebt Trash-TV, Big Brother und alle Sendungen, die aus Unbekannten Promis machen. Sie selbst sehnt sich nach der ganz großen Aufmerksamkeit.
2019: Ihr großer Traum wird wahr. Ihre Kinder sind die Hauptakteure ihres You-Tube-Kanals Happy Récré. Das, was sie selbst nie erreicht hat, erreicht sie nun mit Hilfe ihrer Kinder Sammy und Kimmy. Reichtümer über Reichtümer. Die Followerzahlen gehen durch die Decke. Was will man mehr? Mélanie lebt mittlerweile in ihrer eigenen Welt und registriert kaum noch wie sehr ihre Tochter darunter leidet. Ignoriert den stillen Widerstand. Social Media ist für sie wie ein Lebenselixier. Ohne Anerkennung in Form von Likes und Kommentaren scheint sie nicht lebensfähig zu sein und darüber hinaus vergisst sie ganz und gar die Belange und Wünsche ihrer Kinder. Als Kimmy nach dem Versteckspielen nicht wieder nach Hause kommt, ermittelt die Polizistin Clara und begibt sich auf ein weitreichendes und unbekanntes Terrain. Der Ermittlungsradius ist immens. Wo sind der oder die Täter zu finden? In der realen oder in der virtuellen Welt?

Anfangs war ich wirklich nicht ganz sicher, ob mich Delphine de Vigan ein weiteres Mal erreichen kann. Ich muss zugeben, dass mir der Zugang nicht so leicht viel. Die Oberflächlichkeit der Mutter hat mich über die Maßen schon fast verstört. Das größte Verbrechen ist die Tatsache, dass sie ihren eigenen Kindern die unbeschwerten Momente über Jahre nimmt und sie so in eine für sie zweifelhafte und düstere Zukunft schickt. Es ist doch so viel wichtiger, was sich die treuen Follower wünschen. Tagtäglich dürfen diese mitentscheiden. Die beiden Frauen, auf der einen Seite Mélanie, auf der anderen Seite die Ermittlerin Clara, könnten unterschiedlicher nicht sein. Clara ist eine bodenständige, ruhige und zurückgezogene Frau und übt ihre Arbeit gewissenhaft aus. Mélanie hingegen fällt auf und ist präsent wie eine Schaufensterpuppe.

Ich bewundere die Autorin, dass sie keinerlei Scheu hat, sich ernsten und wichtigen gesellschaftlichen Themen zu widmen und ich bewundere sie für die raffinierte Ausarbeitung des Romans, für den Aufbau, die Sprache und einmal mehr für die einprägsamen Charaktere. Durch die verschiedenen Zeitebenen und die Veränderungen, die Digitalisierung und Social Media mit sich bringen, werden die Gefahren, die im Internet lauern und was mit labilen Persönlichkeiten passieren kann, verdeutlicht. Sie sorgt für Überraschungsmomente, treibt es immer wieder auf die Spitze, und so sehr mir das letzte Drittel in der Seele weh getan hat, so sehr hat sie sich darin selbst übertroffen. Lest diesen Roman und lasst es ihn auf euch wirken. Eine Ohrfeige für alle, die Kinder und Schutzbefohlene in die Öffentlichkeit zerren ohne Sinn und Verstand.