Krimi oder Reportage?

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angie99 Avatar

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In „Die Kinder sind Könige“ lernen wir zwei gegensätzliche Frauen kennen: Die zielstrebige, verschlossene Polizistin Clara, die als Protokollantin bei der Kriminalkommission arbeitet – und die nach Aufmerksamkeit lechzende Mélanie, Mutter zweier Kinder und Betreiberin des beliebtesten Familienkanals Frankreichs.
Ihr Wege kreuzen sich, als Mélanies 6jährige Tochter Kimmy eines Tages spurlos verschwindet und eine aussichtslos erscheinende Suche nach dem allseits bekannten You-Tube-Nachwuchsstar beginnt.

Delphin de Vigan entwirft hier eine spannende Situation, in der sich die medienfremde Clara in die ihr unbekannte Parallelwelt von Videos, Storys, Followern, Likes und Sternenküsschen hineinfinden muss. Mit großer Eindringlichkeit weist der Roman darauf hin, wie sich die permanente öffentliche Sichtbarkeit auf das Leben der Kinder auswirkt. Er deckt empfindliche Missstände in diesem Bereich auf und wagt sogar einen Blick in die Zukunft; all dies wühlt auf und sensibilisiert für dieses topaktuelle Thema.

Doch obwohl Clara wie in einem Krimi auf die Auflösung des Entführungsfalles hinarbeitet, wird die Story in einem so nüchternen Ton erzählt, dass ich mich teilweise in einer Art Reportage wähnte. Einzig die in die Erzählung eingeschobenen Protokolle konnten in Form von Interviews und Video-Mitschnitten etwas Abwechslung und Lebendigkeit in einen von vielen Erklärungen strotzenden Text reinbringen.

Das Problem der Darstellung von Kindern im Internet wird zwar eindrücklich auf den Punkt gebracht, doch leider fehlt es an möglichen Lösungen; selbst der Blick in die Zukunft schildert nur Ansätze, die letztendlich scheitern.
Außerdem hat mich gestört, dass auf den gut 300 Seiten eine einzige Botschaft zwar auf vielfältige Weise wiederholt und bekräftigt wird, jedoch keine zusätzlichen Ebenen erhält. Obwohl de Vigan versucht, auch Mélanies Sichtweise einzubringen, bleibt diese unnahbar und fremd. Mindestens mir brachte dieses Buch keine Erkenntnisse, die mich überrumpelt oder sonderlich überrascht hätten.

Das ist schade, denn ich befürchte, dass dieses Buch in erster Linie von „Claras“ gelesen wird und nicht in die Hände der „Mélanies“ gerät, die den direkt möglichsten Einfluss zu einer nachhaltigen Änderung des Systems hätten.