Gute Unterhaltung mit pädagogischen Einblicken

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heike lohr Avatar

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"Die Kinder von Schönbrunn" von Maly entführen mich in den Beginn des 20. Jahrhunderts, als es keinen Kaiser mehr gab. Die Sozialdemokraten und die Kinderfreunde sind rührig. Die Gewerkschaften sind in der Anfangsphase und die reformpädagogischen Ansätze sowie die Sozialhilfe beginnen sich zu etablieren. Das gefällt mir. Der Schreibstill ist ansprechend, die Figuren werden langsam in typischen Szenen eingeführt: Greta als Mutter ihrer kleinen Tochter, die noch immer an ihrem vermissten, wahrscheinlich gefallenen Mann hängt. Sie stammt aus der guten Mittelschicht, lebt mit ihrer Schwester und deren Mann in ihrem Elternhaus. Sie macht den gesamten Haushalt, versorgt die Familie und gönnt sich nicht viel. Sie widersteht den Verkuppelungsversuchen der Familie.
Der nachmittägliche Spaziergang, der ihren Lebensweg verändert, ist realistisch geschildert. Eingeführt wird ihre treue Freundin und spätere Wohngenossin Melanie, die gerade - da sie zu spät ist - durch den Park von Schönbrunn eilt. Sie fragt nach der Zeit und geht davon aus, dass Greta - wie sie - einfach zur Ausbildung der Erzieherinnen in Schloss Schönbrunn will: zum Einführungsvortrag und zur Einschreibung. Greta lässt sich mitreißen und denkt sich, warum soll sie sich nicht den Vortrag anhören.
Gerade diese Überlegungen sind psychologisch gut gestaltet, so dass ich mitgerissen bin. Trotz allen Zögern schreibt sich Greta ein.
Ihre Schwester ist davon begeistert, hat sie ja Tiermedizin studiert und arbeitet als Tierärztin.
So erleben wir Gretas Ausbildung, Melanies Wechsel in die Kunstgewerbeschule und schließlich den Umzug in eine neue Wohnung. Gleichzeitig schafft es Greta sich in dem Kinderheim durchzusetzen, nicht zuletzt, weil sich ihr Lehrer Martin Brenner in sie verliebt.
Die Intrigen und Machtkämpfe zwischen den Kindern enden bei drei sehr schweren Fällen in einem solidarischen Akt der Gegenwehr gegen ungerechtfertigte Vorwürfe.
Alles endet in dem Wohlgefallen, das wir uns als Leserinnen wünschen. Deswegen würde ich dieses Buch als gute, gediegene Belletristik empfehlen, die mich nicht überrascht, weil ich einfach das Lehrerinnenmilieu kenne und mich in Pädagogik sowie Intrigen unter Lehrkräften sowie Erzieherinnen auskenne.
Das Titelbild hat mich nach Schönbrunn durch ein offenes Tor eingeladen, das symbolisch für den Lebensweg Greta wird. Sie überwindet ihre Trauer und beginnt sich zu emanzipieren. Diese Anfänge der Frauenemanzipation sowie dem neuen und regen gesellschaftlichem Leben, in welchem auch Frauen ausgehen, erscheint der Einstieg ins neue Jahrhundert zu sein.