Das eindringliche Psychogramm einer russisch-jüdischen Einwanderin

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elmidi Avatar

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„Die Königin von der Orchard Street“ ist weniger ein historischer Roman. Mehr noch ist es die Geschichte einer verkorksten Kindheit in den verarmten Einwanderervierteln New Yorks und einer beispiellosen Karriere im aufstrebenden Amerika.

„Ach, ich hab so viel gewollt – und auch bekommen! Und dennoch. Wie wenig ich doch auf die Myriaden Arten, in denen das Leben einen deformiert, vorbereitet war, darauf, wie Trauer, Wut, Verbitterung und ein gebrochenes Herz einem ständig in den Magen traten, dass man sich am Boden krümmte“
Am Ende des Buches sind dies die Worte von Lilian Dunkle, die am Beginn des 20. Jhdt. als Malka Treynovski, Tochter jüdischer Eltern, in Russland das Licht der Welt erblickt. Susan Jane Gilman erzählt uns die Geschichte von Malka in drei Teilen – am Beginn und im ersten Teil, der auch der beste in diesem Buch ist, wird uns die Kindheit Malkas vor Augen geführt. Die herzzerreißende Armut der Einwanderfamilie in den Armenvierteln New Yorks um 1913 und die dadurch zerbrechende Familie haben mich bestürzt zurückgelassen. Die Geschichte wimmelt in diesem Teil von Menschen, die durch die pure Not nicht ganz gerade Wege können, unmoralische und doch zumindest fragwürdige Entscheidungen treffen, an deren Ende ein Kinderschicksal nur am Rande wichtig ist. Einsamkeit und Selbstzweifel, das Gefühl, der Elternliebe, der Liebe überhaupt, nicht wert zu sein, prägen Malkas Kindheit.
Dieses Kapitel ist der Motor des Buches, er ist der Antrieb, die Geschicke Malkas auch weiter folgen zu wollen. In den folgenden beiden Teilen begleiten wir diese kantige, schwierige und nicht immer sympathische Malka, die jetzt Lilian heißt, durch ihre besten Jahre bis ins hohe Alter, durch Armut und bis hin zu großem Reichtum.

Ein großartiger, nicht immer ganz leicht zu lesender Roman, der hin und wieder Durchhaltevermögen fordert. Die alte Lilian kommt im Laufe der Geschichte immer wieder zu Wort, sie erzählt ihr Leben im Rückblick. Die alte Lilian ist sarkastisch, verbittert und undankbar – sie hat mich immer wieder genervt. Trotzdem hätte sie nicht anders sein dürfen, eine glatte und liebe alte Frau wäre nach dieser Lebensgeschichte nicht realistisch gewesen.
Ich habe mit dieser Antiheldin mitgelitten und mitgeklagt, mich von ihr abgestoßen gefühlt und ihre Handlungen missbilligt, und sie immer wieder verstanden. Wer dieses Buch lesen möchte – und dazu sei unbedingt geraten – muss sich auf diese unbequeme Person einlassen und ein Stück Weges mit ihr gehen wollen.