Die Geschichte der Eiskönigin

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Die junge Malka kommt als kleines Kind im Jahr 1913 nach New York, ihr Vater hat das Ausreiseziel der 5-köpfigen Familie in Hamburg kurzfristig verändert. Denn eigentlich war Südafrika das Ziel der russischen Familie - hier lebte bereits ein Onkel, der das Eingewöhnen deutlich hätte erleichtern können. In Amerika jedoch gibt es keine Hilfe - und auch keine Arbeit. Die Familie bricht mehr oder weniger auseinander, auch weil die Mutter immer noch empört ist über die Planänderung. Sie spricht nicht mit dem Vater und auch nicht mit Malka. Die kleinen Töchter sind unter anderem dazu gezwungen, Lebensmittel zu "besorgen". Sie singen und tanzen und versuchen, mit kleinen Aushilfsjobs an Geld zu kommen.
Diese schwere Kindheit hat ihre Auswirkungen auf das ganze Leben Malkas, deren Geschichte durch einen Unfall jäh verändert wird. Sie wird von einem Eiswagen angefahren, erleidet dabei schwere Verletzungen am Bein - und wird von der italienischen Familie, der der Eiswagen gehört, mehr oder weniger adoptiert. Allerdings gehört sie auch hier nicht richtig zur Familie, bekommt aber einen anderen Namen: Lillian, und lernt viel über die Produktion von Speiseeis.
Erzählt wird die Geschichte der "Königin der Orchard Street" aus der Perspektive der alten Lillian Dunkle, die auch zwischendurch die Rede direkt an die LeserInnen wendet. Sie erinnert sich an ihre Anfänge in New York, an ihre Kämpfe in der italienischen Eismacherfamilie Dinello, an ihren wunderschönen und eigenartigen Ehemann Albert, an ihren eigenen Aufstieg und Fall mit einem eigenen Eisimperium, an kleine Vorfälle und große historische Geschehnisse.
Das alles ist in einem durchgängigen Text enthalten, manchmal wechselt sich die Zeitebene innerhalb kürzester Zeit. Das macht die Lektüre nicht immer einfach - und allzu lange Pausen sollte man sich auch nicht gönnen, um den Faden nicht zu verlieren.
Mich hat die Erzählweise an eine ältere Dame erinnert, die ich vor einigen Jahren kennengelernt habe. Auch diese war in jungen Jahren in die USA ausgewandert und kam nun als Mitte-80-Jährige wieder in ihre deutsche Heimat zurück. Deutsch sprach sie nur gebrochen, aber das ursprüngliche Plattdeutsch war noch in ihrer Erinnerung. Und beim Erzählen hat sie sich sowohl auf ihre kleinen individuellen Erfolge berufen als auch auf die große Geschichte. Aber letzteres immer nur in kleinen Dosen. Soweit es sie eben betroffen hat. Und genauso geht es mir mit den Berichten Lillian Dunkles: Auch sie spricht vom zweiten Weltkrieg - aber nur, weil sie in dieser Zeit versucht, die Armee mit Speiseeis zu versorgen. Man erfährt ein wenig über die Zustände auf dem Flugzeugträger, aber mehr darüber, wie es Lillian in den Auseinandersetzungen mit anderen Eisfirmen geht.
Lillian ist keine strahlende Heldin: Sie braucht kleine Tricks, größere Verleumdungen und benutzt ihre Macht, um ihre Ziele zu erreichen. Andererseits ist sie in einer männerdominierten Welt eine erfolgreiche Frau, die ihren eigenen Weg geht. Sie hat ihre eigene TV-Show, ist wohltätig und sowohl finanziell als auch beruflich sehr erfolgreich. Dabei ist der plötzliche Reichtum wohl auch hinderlich.
Mich hat diese Frauengeschichte angesprochen - und auch teilweise gelangweilt. Mich hat die Idee fasziniert - und dann wiederum abgeschreckt. Die direkte Ansprache ist mehr als ein unterhaltsames Stilmittel, sie bindet die Aufmerksamkeit, genau wie die Ich-Erzählung. Aber doch hat der Roman seine Längen und Unlogiken. Das beigelegte Lesezeichen mit dem "kleinen Vokabular der Lower East Side" ist hilfreich, aber nicht ganz umfassend. Einige "Slangworte" bleiben immer noch unklar.