Ein großartiges Leseereignis

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waterlilly Avatar

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Eigentlich wollte die russische Großfamilie Bialystoker nach Afrika zu einem Verwandten auswandern. Doch als die jüngste Tochter Malka und der Vater immer mehr Geschichten über das Zauberland Amerika hören, werden die Pläne geändert.
Zu ihrer Enttäuschung finden sie am Ziel angekommen allerdings nicht das erwartete Schlaraffenland aus den Lichtspielen sondern ein Leben in Armut. Zu sechst müssen sie sich ein Zimmer teilen und selbst die jüngsten Kinder sind angehalten Geld zu verdienen. Es dauert nicht lange, bis die Familie an diesem Schicksal zerbricht und in alle Winde verstreut wird.

Die kleine Malka, die nach einem Unfall verkrüppelt ist, wird von einer italienischen Familie aufgenommen. So tragisch ihre Verletzungen und der Verlust ihrer Familie auch sind, so sind dies doch die Ereignisse, die ihr ganzes Leben verändern. Bei der Familie Dinello kommt sie zum ersten Mal mit Eiscreme in Berührung und lernt von der Picke auf die Herstellung dieser köstlichen Leckerei, die sie eines Tage zur Millionärin machen soll.

„Die Königin der Orchard Street“ von Susan Jane Gilman wird in der Ich-Form aus der Sicht einer über 70 Jahre alten Malka, die später den Namen Lilian angenommen hat, erzählt.
Die Geschichte der Lilian Dunkle ist ein Paradebeispiel für den amerikanischen Traum, hat sie sich doch von ganz unten bis an die Spitze hochgearbeitet, getrieben von ihrem eigenen Ehrgeiz.
Nun blickt sie zurück und erzählt ihre Geschichte. Dabei hält sie keine starre Chronologie ein, sondern springt zwischen den Zeitebenen hin und her, was den Lesefluss jedoch in keinster Weise stört.

Lilian Dunkle ist kein Charakter, den man leicht ins Herz schließt. Das einstige Leben in Armut, der frühe Verlust der Familie und die ständige Angst alles was ihr lieb und teuer ist erneut zu verlieren haben sie hart werden lassen. Lilian musst früh erwachsen werden. Ihr Geschäftssinn ist bereits als 5-jährige erwacht, als sie gemeinsam mit ihrer Schwester auf der Orchard Street betteln musste.
Ihr Gespür für die Bedürfnisse der Menschen hilft ihr auch später, ihr Eisimperium aufzubauen. Eine Idee, die aus purer Not entstand, entwickelt sich zur Goldgrube. Auf ihrem Weg nach oben geht Lilian über mehr als eine Leiche, dabei ist es jedoch nicht so, dass sie aus purem Egoismus handelt, aber sie ist der Ansicht, dass sie aufgrund der Entbehrungen und Ungerechtigkeiten, die sie im Leben hinnehmen musste, ihr Glück verdient hat und niemand berechtigt ist sie zu stoppen.

Das Ungewöhnliche am Erzählstil der Susan Jane Gilman ist, obwohl ich mit der Hauptfigur bis zum Ende nicht wirklich warm werden konnte, so hat mich ihre Geschichte dennoch von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Dieses Buch ist unglaublich bildgewaltig, mitreißend und interessant. Die Autorin hat auch ein paar historische Fakten einfließen lassen, und bringt dem Leser die Entstehung der Eiskultur sowie der ersten Franchise-Unternehmen näher.

Auch wenn Lilian der Armut entkommen konnte, so ist in ihrem Leben doch nicht alles Friede, Freude, Eiscreme. Das Buch hat kein typisches Happy-End, aber gerade dadurch wirkt die Geschichte so authentisch. „Die Königin der Orchard Street“ umfasst 550 Seiten in kleiner Schrift, dennoch erschien es mir am Ende viel zu kurz und ich habe den Roman nur schweren Herzens geschlossen. Ein absolut grandioses Leseerlebnis das einen Platz auf meiner „Lesehighlights 2015“ Liste bekommt.