Eine märchenhafte Karriere

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Malka ist die jüngste Tochter einer russischen Einwanderfamilie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Amerika kam. Die Familie hat es schwer, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Um sich ernähren zu können, sind alle gezwungen, etwas dazu zu verdienen. Die älteren Schwestern arbeiten in einer der vielen Fabriken New Yorks. Als Malka im Alter von sechs Jahren von einem Pferdewagen angefahren wird und seitdem gehandikapt ist, wird sie von ihrer Familie verstoßen. Das eben noch bewohnte Zimmer ist plötzlich leer. Nur die Familie des Wagenlenkers hat so viel Mitleid und nimmt Malka auf. Die russische Jüdin findet nicht nur ein neues Heim und lernt Italienisch, sondern Papa Dinello weiht sie obendrein in die Kunst der Eiscremeherstellung ein. Das ist der Beginn der Wandlung von Malka in Lillian Dunkle, der Eiskönigin der Orchard Street.

Susan Jane Gilman orientiert sich in ihrem Debüt am Lebenslauf der Leona Helmsley. Anfangs beschreibt sie die Lebensumstände in der Lower East Side New Yorks aus Sicht der jungen Malka. Auf der Suche nach dem Glück sind ihre Eltern über Ellis Island eingewandert und stehen nun dem Kampf ums Überleben gegenüber. Amerika galt von jeher als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Am Beispiel der Einwanderer werden mehr oder weniger erfolgreiche Lebenswege geschildert. Es entsteht ein detailliert gezeichnetes Gesellschaftsporträt des 20. Jahrhunderts. Es wird über die Schwierigkeiten berichtet, täglich genug Nahrung aufzutreiben, eine Arbeit zu finden und vielleicht mit seiner Geschäftsidee ein Leben aufzubauen. Die Geschichte der Speiseeisherstellung kann anhand des Romans verfolgt werden.

Aber genauso gehört der Verlust einzelner Familienmitglieder wegen der fehlenden Registrierung zu Malkas Leben dazu. Das durch ihr Bein behinderte Mädchen kann seinen Weg nur gehen, weil ihr andere Menschen dabei helfen. Später wird sie dieses offensichtliche Manko für ihr Firmenimage einsetzen. Gemeinsam mit ihrem Mann Bert unterstützt die Eisfabrik die landesweite Impfung gegen Polio. Die Frage nach der Moral lässt die Autorin hier offen. Sie lehnt ihre fiktive Figur der Lillian Dunkle stark an die 2007 verstorbene Immobilienkönigin Leona Helmsley an. Ihre Lebenswege unterscheiden sich lediglich durch die Branche und in wenigen Kleinigkeiten. Beiden wird ein uncharmanter Charakter zugeschrieben, ein exzentrischer und egoistischer Umgang mit ihren Mitmenschen und vor allem der Drang, es ganz nach oben zu schaffen. Ebenfalls verbindet die beiden der Prozess um Steuerhinterziehung.

Lillian Dunkle erzählt ihr Leben vom Einwanderermädchen bis zur Vorstandsvorsitzenden des Eiscreme-Imperiums als Rückblik. Sie ist 75 Jahre alt und richtet sich mit ihren Erinnerungen direkt an die Leser. Immer wieder spricht sie sie mit dem Titel Schätzchen an. Unzählige Male verwendet die Autorin dabei die Aussage „Na und? Verklagen Sie mich doch.“ Um davon nicht entnervt zu werden, muss man wissen, dass auch das Vorbild stets eine Aussage über das Zahlen von Steuern verwendet hat.

Der Roman spiegelt den Aufbau der Wirtschaft Amerikas in einer dichten Atmosphäre. Die Hauptfiguren werden lebendig gezeichnet. Deren Leben wird dadurch authentisch und man kann als Leser die Emotionen gut nachfühlen. Trotz des intimen Einblicks in das Leben von Lillian bleibt sie dennoch auf Distanz. Eine Verbundenheit baut sich auf den 550 Seiten nicht auf. Das alles ist dermaßen stimmig, dass man das Buch gern in einem Rutsch lesen möchte. Der Roman wird seit langem in einschlägigen Zeitungen der US-Presse hochgelobt. Zurecht, wie ich finde.