Typisch Charlotte Roth!

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singstar72 Avatar

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Ich habe die Stimme der Autorin sofort wiedererkannt! Gerade erst habe ich von ihr die Romanbiographie über Michael Ende gelesen, und war begeistert. Deswegen musste ich mich auch mit dieser Leseprobe befassen.

Es ist der ganz eigene, Charlotte-Roth-Erzählton, der mich hier wieder „anspringt“. Es ist eine künstlerisch durchwirkte, aber dennoch eingängige Sprache. Eine Erzählweise, die den Fokus zumeist auf die einfachen Leute legt, die erfahrbar macht, wie die Zusammenhänge waren. Und manche Sätze und Beschreibungen möchte man sich einfach abschreiben!

Auch hier wieder ein Vorwort, in welchem die Autorin klar macht, dass sie sich künstlerische Freiheiten erlaubt hat. Das vermittelt sie jedoch sehr charmant! Gleichzeitig setzt sie in diesem Vorwort ihrem verstorbenen Vater ein Denkmal, was mich sehr berührt hat.

Charlotte Roth behandelt alle ihre Figuren mit Liebe und Sorgfalt. Der erste Abschnitt zum Beispiel behandelt eigentlich einen „Nebenschauplatz“ in der Zeit „nach“ Carola Neher, in der relativen Gegenwart, in einer Kleinstadt in der Pfalz. Doch schon allein dieses Vorspiel ist mit so viel Detailfreude gestaltet, dass ich traurig war, als es zu Ende ging! Ich würde so gerne noch viel mehr über die Bibliothekarin Annette und „Herrn Hase“ erfahren! Kommt Annette eines Tages doch noch aus Weyher heraus? Wird sie sich gar mit „Herrn Hase“ anfreunden…? Andeutungen dazu gibt es ja.

Dann erst geht das Buch in die Haupthandlung über. Carola Neher hieß eigentlich Karoline, und war eines von fünf Geschwistern einer alleinerziehenden Witwe. Erzählt wird aus der Sicht der Mutter, wie schwer sie es mit den Zeitumständen allgemein und mit ihren Kindern insbesondere hatte. Die Mutter geht mit ihren Kindern einkaufen, und sinniert dabei über das Leben.

Schon hier werden etliche Fäden angedeutet, die bedeutsam sein werden. Karolines Eigensinn. Ihr ständiger Hang zum Künstlertum und zur Theatralik. Ihre Unzufriedenheit mit ihrem Namen. Und ihre Mutter stellt ebenso fest, dass ein „normaler“ Lebenslauf und ein „normaler“ Ehemann ihrer Tochter wohl nie genügen würden… da war sie wohl eine Spur hellsichtig!

Am Ende der Leseprobe reißt Karoline aus, und man kann sich denken, sie wird nach Berlin gehen. Die Mutter bleibt ein wenig fassungslos zurück, zusammen mit dem jüngeren Bruder, der wohl Bescheid gewusst hat.

Ich bin verblüfft, wie viel Leben schon in diesen wenigen Seiten enthalten war! Die Zeitumstände. Die Herkunft von Carola Neher. Ihr eigenwilliger Charakter. Und auch ein wenig Verruchtheit und Abenteuer. Die Erzählweise würde ich durchaus als „prall“, aber eben nicht übervoll bezeichnen. Wieder einmal bin ich von Charlotte Roth begeistert, und würde dieses Buch gerne lesen!