Der Schauspieler, der im wirklichen Leben ständig stolpert

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In ihrem Roman „Die Königin von Berlin“ erzählt Charlotte Roth von der heute vergessenen Schauspielerin Carola Neher, der Muse vieler berühmter Männer und die als Brechts erste Polly damals auf dem Höhepunkt ihres Schaffens war.

Die junge Karoline will unbedingt Schauspielerin werden, sie beobachtet die Großen dieses Fachs mit ihren Federboas, wie sie dahergeflattert kommen. Um ihr Ziel zu erreichen, geht sie ganz schön dreist zu Werke. Sie ist eine ausgebuffte Lügnerin, eine Träumerin, ein Aufschneiderin, ein Möchte-gerne-Groß – Frechheit siegt. „Das kann ich auch, das kann ich besser“ - so sind ihre Gedanken. Über Feuchtwanger lernt sie Brecht kennen und dieser will sie haben. Das erste Gespräch zwischen ihr und Bertolt ist amüsant, ja frivol. Sie sind sich ähnlich. Beide gehen forsch zu Werke, die Anziehungskraft zwischen ihnen ist sofort da, sofort spürbar. Die Männerwelt liegt ihr zu Füßen, sie aber sagt von sich selbst „was kann ich dafür, dass ich nicht lieben kann“. Doch dann begegnet sie Fredi – Alfred Henschke, der als Dichter Klabund sein Dasein fristet. Er ist gleich hin und weg von ihr und, was sie nie für möglich gehalten hat, sie ist in ihn verliebt. Mehr noch – sie heiraten. Die Liebe der zwei zueinander ist so einfühlsam, so liebevoll beschrieben, dass einen warm ums Herz wird. Sie liebt ihren Klabund, ohne Frage. Ist aber gleichzeitig egoistisch bis zum Abwinken. Sie will ihre Jugend, ihre Freiheit, ihren unstillbaren Lebenshunger in vollen Zügen genießen und genau das macht sie auch. Er gönnt ihr ihre Abenteuer, auch wenn die Eifersucht an ihm nagt.

Im zweiten Handlungsstrang sucht Georg Becker nach einer Frau aus dem Berlin der zwanziger Jahre: Carola Neher. Die Bibliothekarin Annette hilft ihm dabei und bringt ihr Leben für eine Weile etwas durcheinander.

Ärgern über Carola musste ich mich oft. So ein selbstgerechtes, egoistisches Wesen wie sie ist zwar keine Seltenheit, trotzdem war ihr immer ihre Karriere und das Drumherum wichtiger als der sanftmütige und immer kränker werdende Fredi. Das größte Ekelpaket war wohl Brecht in seiner Selbstgerechtigkeit. Er nahm sich was er wollte ohne Rücksicht auf Verluste und er bekam auch immer, was er wollte. Die Fetzen wären geflogen, wäre Brecht ständig an Carolas Seite gewesen.

Das Leben der Neher bis zum Tod ihres Alfie, wie ihn Carla auch nannte, ist sehr ausführlich. Ihr weiteres Leben, ihre zweite Heirat, ihr Sohn und ihr tragisches Ende kommen leider nur als Randnotiz vor. Hier wäre die ganze Dramatik ihres weiteren Lebens fernab der schillernden Theaterwelt ein ganz anderes Kapitel geworden. Schade, dass dem nicht mehr Platz eingeräumt wurde. Trotz alledem fühlte ich mich von dem Roman gut unterhalten und das, was ich zu lesen bekam, hat alle möglichen Gefühle in mir geweckt. Ich war aufgebracht über so viel Selbstverliebtheit, besser gesagt von so viel Unverfrorenheit von Carola, aber vor allem von Brecht und war zutiefst ergriffen von der selbstlosen Liebe Klabunds zu seiner Carla. Nebenbei bemerkt: Carola Neher habe ich nicht gekannt, nie gehört. Um mir ein Bild von ihr zu machen, suchte ich Fotos von ihr und dann auch von Klabund, der gar nicht so schlecht aussah, wie in ihn mir beim Lesen vorgestellt habe. Das Coverbild mit Gepard ist sehr gut ausgesucht, es passt hervorragend zum mondänen Leben einer Diva.

Der Roman ist gut zu lesen, bietet gute Unterhaltung und ist eine Zeitreise ins mondäne Künstlerleben der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Eine Leseempfehlung für alle, die sich gerne zurückbeamen und gut unterhalten lassen wollen.