Ein Schauspiel der Extraklasse, gelungen inszeniert

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elke seifried Avatar

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„Sie würde hier sitzen bleiben und altern wie eine Kartoffel, die nicht durch Modergestank auf sich aufmerksam machte, sondern irgendwann einfach verschrumpelt war.“ Bibliothekarin Annettes Traum, aus dem kleinen Ort in der Pfalz hinaus in die weite Welt zu kommen, hat sich bisher nicht erfüllt. Da sie ihre Mutter, die an MS leidet, unterstützen muss, sitzt sie nun in Bibliothek und Heimatmuseum ihre Tage ab. Dort erscheint eines Tages ein Unbekannter. >>Und was suchen Sie?<<, >>Eine Familie Ziegler<<, sagte Georg Hase Becker. >>Sie soll hier bereits seit über zweihundert Jahren ansässig sein<<, genauer gesagt sucht er eine Verwandte, eine Carola Neher. Und genau diese lernt man hier in einem Roman, der keine Biografie sein soll, sondern vielmehr einem Theaterspiel gleicht, wie deren Leben selbst wohl auch, an dem sich die Autorin durchaus orientiert, kennen.

Als Leser wird man nachdem man Annette kennenlernen durfte, erst einmal ins München kurz nach dem Ersten Weltkrieg zurückversetzt. Ihre Mutter, Wirtin einer Weinkneipe und Witwe, hat es nicht leicht mit Karoline. Lehrerin will sie nicht werden, „da lieber Stinkefisch am Viktualienmarkt verkaufen“ und dazu noch träumt sie vom Schauspiel. „Karoline also hatte einen Floh im Ohr, gegen den die Idee mit dem Klavier wie eine harmlose Schrulle erschien. Jemand musste ihn ihr austreiben, bevor ihr gesamtes Leben zum Flohzirkus mutierte.“ Deshalb von, der in ihren Augen tyrannischen, Mutter zu einer Banklehre verpflichtet, ist ihr schnell klar, „Die Münchner Kammerspiele wäre also ihr Traum gewesen. Da aber irgendwann festgestanden hatte, dass ihre Mutter kein Einsehen haben würde, hatte sie zu handeln und ihr davonlaufen müssen.“ Mittellos und ohne jegliches Gepäck landet man mit ihr zunächst aber nicht im großen Berlin, sondern schafft es gerade bis nach Baden-Baden. Der Traum von der großen Schauspielerin bekommt hier erst einmal einen richtigen Dämpfer. Zwar ein „halbwegs gefälliges Gesicht und ein nettes Fahrgestell“ aber Talent und Stimme, Fehlanzeige. So sieht das einige Jahre später, wieder zurück in München, auch der berühmte Falckenberg, bei dem Julius Gellner, ihr Jugendfreund, der sie abgöttisch liebt, ein Vorsprechen organisiert hat. Derart abserviert, scheint Feuchtwanger, dem Carola, wie sie sich inzwischen nennt, ebenfalls einen Brief mit der Bitte um Unterstützung geschrieben hat, die letzte Chance zu sein. Und es öffnet sich tatsächlich eine Tür, denn wenn Falckenberg sie nicht leiden kann und behauptet, „die hat einen Mund wie eine Leiche“, dann gilt für einen Berthold Brecht, „Bestens. Dann kann sie zu mir kommen, bei mir gibt es immer Leichen zu spielen.“ Von der Chance als eher unscheinbar aussehender Mann Julius Gellner, den Schwarm aller Frauen, ausstechen und dessen große Liebe erobern zu können, angetrieben, erkennt Brecht aber auf den ersten Blick, er will mehr und auch Carola findet in seinem Größenwahn vom Film, vom Durchbruch ein Echo ihrer eigenen Traumwelt. Eine Karriere kann beginnen, von der ich gar nicht mehr verraten will. Man darf mit ihr von München, nach Berlin ziehen, den einen oder anderen Mann kennen, vielleicht auch so etwas wie lieben lernen und kann dabei eintauchen in die Welt des Theaters und Schauspiels.

Dies ist mein erster Roman von Charlotte Roth, wird aber definitiv nicht mein letzter sein. Der pointiert, kurzweilige Stil und die besondere Ausdrucksweise hat mir sofort ausgezeichnet gefallen, ja auch über die eine oder andere Länge hinweggeholfen. Die Idee den ganzen Roman als eine Art Schauspiel zu inszenieren hat mir gut gefallen. Das passt perfekt zu dem Leben, das eine Carola Neher wohl gelebt hat und zudem hebt sich der Roman so deutlich vom sonstigen Einerlei ab. Humorvolle Dialoge, wie >>Es ist mir einfach so eingefallen, als mir auf der Nymphenburger Straße auf einmal mein Leben davon geschwommen ist.<< bekommt da schon einmal ein >>Geschwommen? Es hat doch gar nicht geregnet.<<, keck, freche Antworten mit denen Carola nicht geizt, haben mich oft schmunzeln lassen.

„Auch wenn mir zu politischen Abenteuern, wie du weißt, die Zeit fehlt. Den Hitler-Haufen habe ich mir vor Kurzem schon aus rein beruflichem Interesse angesehen und kann dir versichern: Die sind selbst als billigste Schmierenkomödianten noch zu schlecht.“, später z.B. auch „Die Machtkämpfe, die nach Lenins Tod in der Sowjetunion tobten, nahmen einen Einfluss auf die Kommunisten Deutschlands, der Fredi wie ein nicht gar gekochter Königsberger Klops im Magen lag,“ Die Autorin nimmt einen mit auf eine gelungene Zeitreise. So darf man die Stimmungen und die Atmosphäre nach dem Ersten Weltkrieg, das Erstarken des Nationalsozialismus zuerst in München und später dann auch im Berlin miterleben. Dort darf man zudem eintauchen in „ dem steinernen Dschungel der modernen Stadt, die feindselig und lüstern, gierig und abweisend, bösartig und liebessüchtig zugleich war, gefangen in einer babylonischen Verwirrung neuer Sprachen, in denen niemand sich zu verständigen wusste. In diesem unerbittlichen Moloch, …“ und natürlich in die Welt der Stars und Sternchen.

„Ich werde schamlos sein müssen. Schamlos ja. Aber nicht wahllos. Und der da gefällt mir nicht.“ Carola Neher, eine Frau, die sich von keinem die Butter vom Brot nehmen lässt und für ihren großen Traum mit allen Mitteln kämpft, wird hier als eine Schauspielerin, die eigentlich ihr Leben spielt, gezeichnet. Das ist der Autorin gut gelungen, mir jedoch blieb Carola Neher mit ihren großen Zielen eher fremd. Wobei fremd vielleicht gar nicht der richtige Ausdruck ist. Ich war z.B. ob ihrer Schlagfertigkeit und ihrem äußerst gesunden Selbstbewusstsein, einerseits beeindruckt, aber andererseits habe ich sie auch stets als unnahbar empfunden. Vielleicht trifft es nicht echt am ehesten. <
Alles in allem ist vielleicht die Theaterwelt einfach nicht die, in die ich völlig abtauchen könnte, dennoch hatte ich dank des pointiert, kurzweiligen Schreibstils wirklich gute Unterhaltung. Mein erster wird definitiv nicht mein letzter Roman aus der Feder von Charlotte Roth sein. 4,5 Sterne