Eine zu Unrecht vergessene Frau lebt in diesem Roman wieder auf

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">>Wenn ich mich verkaufen würde, dann zu einem Preis, den du nicht zahlen könntest<<, sagt sie zu einem und zu einem anderen: >>Ich bin eine Frau, der es selbst im Privatleben schnell zu privat wird.<< (S.56)

In diesem Roman der Bestseller-Autorin Charlotte Roth wird die, in den 20er Jahren des vergangen Jahrhunderts umjubelt und heute in Vergessenheit geratene, Femme fatale Carola Neher im Spiegel ihrer Zeit gezeichnet.

Carola Neher - der weibliche Star von Bertolt Brechts weltberühmten Dreigroschenoper. Eine starke, selbstsichere, einnehmende Frau, die das Schauspiel mehr als alles andere in ihrem Leben liebte (ausgenommen vielleicht ihren ruhigen, liebevollen Fredi, dem Dichter Klabund.)

Die Figuren im Roman werden von der Autorin hier realistisch im geschichtlichen Kontext gesetzt. Charlotte Roth hat das Leben Carola Nehers sehr gut recherchiert und füttert den Leser im gesamten Buch mit Fakten zur politischen Lage der brüchigen Weimarer Republik. Dabei gestaltet sie vor den Augen des Lesers ein eindrucksvolles Bild, wenn sie vom Kilo Kartoffeln für 90 Mrd. Reichsmark und den Plakaten >Suche Arbeit. Nehme alles< schreibt.

Intelligent formuliert Roth die Lasten und Erwartungen der "überflüssigen Generation" (S.282), der Generation zwischen zwei Weltkriegen, die sich dem Schrecken, der vor ihnen lag, keine Vorstellung machten. Derjenige Jahrgang, welcher die neue hoffnungsvolle, "kostbare Generation der Überlebenden sein [sollte], die beweist, dass die Menschheit den Krieg überstanden und hinter sich gelassen hat"(S. 283).

Besonderes Lob möchte ich der Darstellung Bertolt Brechts in diesem Roman zukommen lassen. Aufgrund meines Germanistik-Studiums kenne ich mich literarisch und geschichtlich umfänglich mit dem Charakter Brechts aus und kann mich komplett hinter die Version Charlotte Roths stellen. Sowohl sein Hang zu schönen Frauen als auch seine Vorstellungen vom -von ihm konzipierten- epischen Theaters wurden von der Autorin naturgetreu wiedergegeben.

Die beschriebenen Liebesgeschichten strahlen eine Zärtlichkeit und Hingabe sowie eine Tragik aus. Der Leser verliebt sich mit Carola in den scheuen, zurückhaltenden Dichter Klabund und mit ihm in Carola.

>>Glotzt nicht so romantisch!<< würde Brecht nun an dieser Stelle sagen, aber ohne Liebe (das müsste Brecht auch zugeben) kann der Mensch nicht leben und so handelt der gesamte Roman schlussendlich nur von Liebe - Liebe zum Liebsten, zur Familie, zu Freunden und vor allem von der großen Lieb zum Theater.

Roth unterteilt ihren Roman im Stile eines Dreiakters. In jedem Akt wird dem Leser ein Teil der Lebensgeschichte von Frau Neher aus den 20er und Anfang der 30er Jahre präsentiert. Dabei wird nicht nur aus Carolas Perspektive erzählt, sondern auch aus der Sicht zweier ihrer Liebhaber, Alfred "Fredi" Henschke (Klabund) und (Eugen) Bertolt Brecht. Diesen Perspektivwechsel habe ich sehr gemocht, da mir die reine Schilderung Carola Nehers auf den ersten Seiten sehr naiv und übertrieben vorkam.

Zu Beginn, zwischen den Akten und am Ende des Buches bekommt der Leser eine "Pause" vom Schauspiel. Hier reist er in das Jahr 1979 und lernt eine junge Frau aus der Pfalz in Zeiten eines geteilten Deutschlands kennen, welche die Begegnung eines Mannes mittleren Alters macht, welcher auf Spurensuche nach DER KÖNIGIN VON BERLIN ist. In diesen Passagen werden Hintergrundinformationen zu Carola Neher und ihren Zeitgenossen mit bewusstem Abstand zu der Darstellung der Hauptgeschichte aufgezeigt.

Der Roman bewegt den Leser zum Nachdenken und verleitet ihn zum selber recherchieren. Ich habe mir dien BARBARA- SONG, gesungen von Carola Neher, aus Brechts Dreigroschenoper während des Lesens mehrmals angehört und kann die Begeisterung von Charlotte Roth über diese Version vollkommen nachvollziehen. Die Autorin macht in ihrem Roman mehrmals auf dieses Stück aufmerksam und ich mochte es ihr hier gleichtun. Jeder sollte sich das Lied, welches Brecht Carola geradezu auf den Leib geschrieben hat, anhören.

Fazit

"Die Königin von Berlin" ist ein Biopic, das keines sein möchte, über Carola Neher, einer zu Unrecht vergessenen Schauspielstardiva der 1920er, geschrieben in Romanform – Es ist gut recherchiert, liebevoll erzählt und mitreißend geschrieben. Ein Muss für Brecht-Fans, ein Muss für Theaterliebhaber, ein Muss für Romanleser!
Auch wenn der Einstieg etwas schwerfallen mag und sich die selbstbewusste Carola erst in das Herz des Lesers spielen muss, lohnt sich das Festhalten an der Geschichte. Der aufmerksame Leser wird belohnt werden.


Die Königin von Berlin. Sie war die Muse von Bertolt Brecht.| Charlotte Roth| Droemer Knaur Verlag| erschienen März 2020|gebundene Ausgabe| 395 Seiten| 19,99€