Die Schwere in uns

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tausendmund Avatar

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Nach jedem deiner Kapitel habe ich mich gefragt, wovon du eigentlich handelst und wie ich dich wohl in ein bis zwei Sätzen inhaltlich zu fassen bekommen könnte. Ich glaube, es gelingt mir nicht. Und ich möchte es auch nicht tun. Denn tatsächlich reicherst du deine Geschichte Seite um Seite mit weiteren Perspektiven, Fragen, Ein- und Ausblicken an. Deine Erzählweise ist so porös wie die Haut von Protagonistin Lisbeth – und das meine ich im positivsten Sinne: Je weiter wir mit dir gehen, desto mehr entfalten sich Lisbeths Vergangenheit und Motive vor uns, desto mehr Löcher und Leerstellen fügst du ihnen gleichsam hinzu. Aber so ist es nun mal, das Leben mit und trotz Traumata.

Für Lisbeth, deren Wesen so durchlässig ist, dass sie die Träume anderer träumt und sich nachts schlimm kratzen muss, ist die einzige Bewältigungsstrategie zum Umgang mit den Dingen, die ihr keine Luft zum Atmen lassen: Distanzaufbau durch Flucht an die Ostsee. Hier trifft sie nach vielen Jahren wieder auf die namenlose Kriegerin; eine Frau, zu der sie seit der Grundausbildung in der Bundeswehr eine große Verbindung spürt, auch wenn Lisbeth mittlerweile nicht mehr als Soldatin, sondern als Floristin arbeitet. Dieser Begegnung wohnt ein Zauber inne (auch wenn sich die Probleme der beiden Frauen jetzt erneut entspinnen), den Helene Bukowski auch im Erzählton sichtbar macht, denn bis hierhin sind wir geradezu stramm durch Lisbeths Geschichte marschiert. Weshalb ich mich auch lange fragte: Ist die Kriegerin eine reale Person? Die Manifestation von Lisbeths Trauma? Ein Archetyp? Oder gar alles in einem?

„Ich hoffe, du hältst dich aufrecht. X“

So endet ein jeder Brief der Kriegerin an Lisbeth. Dieser Satz einer Verabschiedung und Hoffnung auf ein Wiedersehen markiert auch dein Wesen, denn du handelst von der Gewalt, die wir uns selbst und anderen zufügen, und dem Wunsch nach einem Leben, in dem Körper und Psyche nicht verletzbar und doch empfindsam sein können. Daneben diskutierst du den Beruf der Soldatin und regst zu Fragen über das Militär an, denen wir uns als Gesellschaft so dringend stellen müssen. Du hinterlässt bei mir nicht nur Begeisterung und Nachdenklichkeit, sondern auch eine großartig-bleierne Schwere.