Wie gelangt man zur Unverletzbarkeit?

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missmarie Avatar

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"Ich glaube, Männer sind nur deshalb mehr dafür gemacht, Soldaten zu sein, weil sie von klein auf lernen, ihre Verletzungen zu verstecken. Frauen dagegen tragen sie zur Schau, als würde es sich um Schmuckstücke handeln."

Diesen Satz fällt die Kriegerin, die lange namenlose Bezugsperson der Protagonistin Lisbeth. Beide kennen sich aus der Zeit der Grundausbildung beim Bund. Doch während die Kriegerin beim Militär geblieben ist, hat Lisbeth die Ausbildung nicht abgeschlossen und arbeitet als Floristin. Jeden Winter treffen sich beide für zwei Wochen in einem Bungalow an der Ostsee. Lisbeth braucht die Nähe zu Meer, weil ihre von Neurodermitis geplagte Haut dort heilen kann. Ob es die Meerluft ist oder die Ruhe, die ihrer Psyche gut tut, ist nicht klar. Ebenso wenig wird dem Leser klar, was die Kriegerin eigentlich antreibt, dass sie immer wieder zurück zu Lisbeth kehrt. Selbst die Frage, ob die beiden Freundinnen sind, lässt sich nicht so einfach beantworten.

Viel "mehr" an Handlung geschieht in dem Roman, der mitunter mit großer Zeitraffung erzählt wird, nicht. Doch das ist auch gar nicht nötig, steht doch das Innenleben der Figuren im Vordergrund. Denn Lisbeth und die Kriegerin scheinen beide nicht in eine Welt zu passen, in der Frauen sich anpassen und verletzlich sein sollen. Beide suchen nach einem Weg, unverletzbar, unbesiegbar zu werden. Den finden sich nicht nur im Sport, sondern auch in der Rüstung des Soldatin seins. Hart zu sich selbst, hart zu den anderen - das ist das Motto beider Frauen. Auf den ersten Blick will Helene Bukowski eine Emanzipationsgeschichte erzählen. Frauen erobern männerdominierte Räume wie die Bundeswehr, treffen selbstbestimmte Entscheidungen auch gegen die Familie und sorgen für ihren eigenen Schutz.

Doch das ist eben nur der erste Blick. Schaut man genauer hin, zeigt sich, das eigentliche große Thema des Romans: Was macht es mit einem Menschen, nach außen Härte zu zeigen, wenn er gleichzeitig töten muss, mittunter auch Zivilisten im Ausland erschießt? Ist dieser Widerspruch zwischen dem Zurschaustellung von Überlegenheit und innerer Verletztheit nicht erst recht ein Beschleuniger für Leid, für kaputte Persönlichkeiten? Diese Fragen sind nicht unbedingt neu. Mehrer Romane haben sich bereits in der Vergangenheit mit posttraumatischen Belastungsstörungen von Soldaten beschäftigt. Was neu ist, ist die Erzählstimme, die Bukowski wählt. Stellenweise fragt man sich beim Lesen, inwiefern der Roman genauso überzeugend wäre, wenn er aus Sicht eines Mannes verfasst worden wäre. Doch schnell wird dann klar, dass der Geschichte dann ein entscheidendes Element fehlen würde: Das Hin- und Hergerissen-Sein zwischen weiblichem Gesellschaftsbild und männlichem Berufsfeld.

Somit ist Bukowskis Roman trotz der gescheiterten Figuren und dem durchweg trostlosen Bild, das sich über die Seiten zeichnet, ein feministisches Buch. Eines, das danach fragt, was mit Frauen passiert, die scheitern, weil sie sich nicht anpassen wollen. Die große Kunst Bukowskis liegt dabei darin, unglaublich eindrückliche Figuren zu schaffen. Die Kriegerin und Lisbeth sind nicht unbedingt sympathisch, dem Leser aber dennoch so nah und so echt, dass sie einen auch noch lange nach der Lektüre begleiten.

Durch die erzählerische Wucht, die neue Sicht auf ein (altes) Soldatenproblem und die Prise magischen Realismus ist "Die Kriegerin" für mich eine absolute Leseempfehlung.