Kunstsammler und eine junge Kunstschätzerin im viktorianischen England

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marionhh Avatar

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Die junge Eleanor Sheffield hat es gerade nicht leicht: Ihr Vater, ein Kunstexperte, ist verstorben und sie soll seine Firma, die Betreuung reicher Sammler und die Restauration von wertvollen Kunstgegenständen, übernehmen. Im viktorianischen England ein schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen. Ihr Onkel Lewis leidet an beginnender Demenz und der einzige Mitarbeiter macht keinen Hehl daraus, dass er sie als Frau dafür völlig ungeeignet findet. Da betraut der verstorbene Vater ihrer Jugendliebe sie post mortem mit einem delikaten Auftrag: Sie soll entscheiden, ob seine Sammlung an seinen Sohn Harry gehen oder einem Museum vermacht werden. Dafür soll sie die moralische Gesinnung und Zuverlässigkeit Harrys prüfen. Schnell stellt sie fest, dass dies ein vertrackter Auftrag ist, denn die Firma hat Schulden, ihre Stellung in der Gesellschaft leidet und zudem hegt sie noch Gefühle für Harry.

Das Buch entführt in die Welt der Kunst, der Kunstsammler und Mäzene, des Kunstraubs und der Raubkunst, der geneigte Leser erfährt viel über echte und gefälschte Kunst und vor allem über die Beziehung zwischen Mann und Frau und die Lage der Frauen in der strengen viktorianischen Gesellschaft. Die Autorin hat einen eingängigen und gut lesbaren Stil, wenn auch ihre Sprache mitunter etwas gestelzt daherkommt. Dies wiederum passt aber zur Epoche und es darf im Buch auch gelacht werden. Die Geschichte hat mich sofort gefesselt und ich fand ihre Beschreibungen bildhaft und detailliert. Die Autorin zeichnet ein authentisches Bild der viktorianischen Ansichten und Moralvorstellungen, steht diesen jedoch, wie mir scheint, keinesfalls kritisch gegenüber. Ihre Protagonistin ist demnach auch keine Rebellin, sie ist angepasst, keusch und zurückhaltend. Durch ihren Vater hat sie großes Wissen als Kunstbegutachterin erworben, was per se ungewöhnlich ist, doch dieses Wissen ist auch nur in Ordnung, wenn man es als Frau zur Unterstützung für den Mann anwendet. Selbstständig zu sein, gar eine Firma zu leiten, für eine Familie zu sorgen ist unerwünscht. Eleanor versucht dies zwar mit all ihrer Kraft, und sie stellt sich dabei in meinen Augen sehr gut an, scheitert jedoch. Erst als sie wieder männlichen Beistand hat, ändert sich dies, sie kann als Kunstmäzenin arbeiten und ihr Ruf ist wieder hergestellt.

Eleanor als Person rief zwiespältige Gefühle in mir hervor. Zum einen ist sie eine sympathische, bescheidene, gutherzige und kluge Person, die Mitgefühl für ihre Mitmenschen hat und sich um die Ihren sorgt. Man folgt ihr gerne auf ihrem Weg und wünscht ihr alles Glück der Welt. Sie versucht mit all der ihr zur Verfügung stehenden Mittel das Unternehmen weiterzuführen, ihre Entscheidungen waren in meinen Augen sehr mutig, werden jedoch von den Männern im Buch in Frage gestellt. Egoismus ist ihr völlig fremd, und kritische oder negative Gefühle wie Eifersucht unterdrückt sie heldenhaft. Große Kraft findet sie in ihrem Glauben, etwas, das für meinen Geschmack mit Psalmenzitaten, Gebeten und Bitten um Gottes Beistand etwas zu sehr betont wurde. Die folgenschwerste Entscheidung trifft sie aus Stolz, einer der sieben Todsünden, und folgerichtig muss sie dafür büßen. Ihre Zweifel und zwiespältigen Gefühle kommen sehr gut herüber, sie möchte gern alles richtig machen und hinterfragt häufig ihre eigenen Entscheidungen. Wenn sie etwas herausfindet, behält sie es eher für sich. Für mich war es, als gestehe sie sich selbst keinen eigenen Willen zu, stattdessen strebte sie danach zu heiraten und darin ihre Erfüllung zu finden. Dies wiederum entspricht vollkommen dem Kodex der Zeit und sie somit der Idealvorstellung der viktorianischen Frau. Interessanterweise steht sie damit in krassem Gegensatz zu ihrer Mutter, die ihre eigene Entscheidung getroffen hat, indem sie ihre Familie und die ihr zugedachte Rolle verließ.

Recht gelungen fand ich die Darstellung der weiteren Charaktere, Harry als die zweite Hauptfigur blieb zwar mitunter etwas blass, war zwischenzeitlich aber durchaus geheimnisvoll, und die anderen sind gut herausgearbeitet und haben Persönlichkeit, allen voran Eleanors Onkel Lewis, ihre Haushälterin Orchie und ihre Freundin Maguerite. Durch die Ich-Erzählweise hat der Leser auch ausschließlich die Perspektive Eleanors, die nicht eben objektiv ist. Über einige wie etwa Marguerite hätte ich gerne mehr erfahren und mitunter war die Handlung etwas statisch. Alles in allem ging für mich die Geschichte aber auf und trotz einiger Längen im mittleren Teil war sie auch recht spannend.

Fazit: Wer Romantik á la Jane Austen, das Aufspüren eines Geheimnisses oder Gesellschaftskritik erwartet, ist hier falsch. Die Protagonistin ist eine sympathische Figur, deren Aktivität eher bestraft wird und die erst in der ihr zugedachten Rolle wieder aufblüht. Dies scheint ganz im Sinne der Autorin zu sein, denn starke und autonome Frauen kommen gar nicht oder nur am äußersten Rande vor. Für mich aber schön zu lesen und mit interessanten neuen Erkenntnissen über Kunst und die Sammelleidenschaft der Viktorianer.