Wellengang und Meeresrauschen

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marapaya Avatar

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Gerade Geschwistern wird gern von außen eine innige Verbundenheit zugesprochen. Vielleicht spiegelt das die Sehnsucht der Einzelkinder nach Verbündeten im Leben. Und Geschwister können ohne Frage einander die engsten Verbündeten sein – aber auch die stärksten Konkurrenten.
Lucy Clarke scheint sich mit diesem Thema auszukennen. Sie stellt uns in ihrem Roman „Die Landkarte der Liebe“ zwei Schwestern vor, die sich innig lieben und leidenschaftlich missverstehen. Nach dem Tod der Mutter versuchen sie sich gegenseitig Halt zu geben, das Gefühl von Familie aufrecht zu erhalten. Doch die vergangenen Jahre des Nichtverstehens lassen sich nicht so ohne weiteres in Harmonie verwandeln. Mia reißt schließlich aus. Sie flüchtet vor ihrer Schwester und vor sich selbst in eine Weltreise mit ihrem besten Freund Finn seit Kindertagen. Katie bleibt in London zurück, bekommt keine idyllischen Postkarten aus fernen Ländern, sondern eines Tages Besuch zu nächtlicher Stunde: Ihre kleine Schwester soll sich in Bali von einer Klippe gestürzt haben.
Warum aber war Mia auf Bali und nicht wie vorgesehen in Australien und warum hat Finn nicht wie versprochen auf sie aufgepasst? Katie kann an den Selbstmord ihrer Schwester nicht glauben und als ihr Mias Tagebuch in die Hände fällt, beschließt sie die Route der Schwester nachzureisen in der Hoffnung Antworten zu finden.
Die Reise ist der rote Faden in Lucy Clarkes Roman. Eine Reise, in der es nicht primär darum geht fremde Länder zu besuchen, sondern den Weg zum eigenen Selbst zu finden und sich endlich den wichtigen Fragen des Lebens zu stellen. Das klingt ein bisschen kitschig und ist es an manchen Stellen auch, aber es passt zu diesem Roman, der sich mit dem schwierigen Geflecht der Geschwisterliebe auseinander setzt. Die Autorin lässt beide Schwestern zu Wort kommen, stellt dem Leser beide Blickwinkel zur Verfügung und hält dabei die Spannung aufrecht, indem sie Mias Geschichte nur bis zu dem Punkt erzählt, an dem auch Katie gerade in Mias Tagebuch liest. So wird erst auf den letzten Seiten klar, ob Mia wirklich gesprungen ist.
Diese abwechselnde Perspektive ist die besondere Stärke des Buches. Es enthüllt die Ambivalenz der schwesterlichen Liebe und die vielen Missverständnisse untereinander, die die Beziehung für beide so schwierig werden ließen. Gleichzeitig spricht aus beiden Frauen immer auch die Bewunderung für die Schwester, die damit einhergehende Eifersucht und schließlich die Unsicherheit mit dem eigenen Selbst sowie der Rolle und Position innerhalb der Familie. Nicht nur Geschwister können sich darin wiederfinden und sich sehr leicht mit den Figuren identifizieren. Zusätzlich gewürzt wird die Handlung mit familiären Geheimnissen, verbotenen Affären und schwierigen Beziehungen. An manchen Stellen schrammt diese dann auch zuweilen ans Unglaubwürdige, etwa als den Schwestern ein Bruderpaar spiegelnd gegenüber gestellt wird oder sie sich gar Männer aus unterschiedlicher Motivation heraus und nicht immer mit dem Wissen der anderen Schwester teilen. Lucy Clarkes Roman ist kurzweilige Unterhaltung und je nach Wellengang und Windstärke wechselt die Geschichte vom seichten Wasser in tiefere Lagen.