Durchhalten lohnt sich!

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annajo Avatar

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Andrew hält sich im leeren Zimmer seiner Geliebten die Waffe an den Kopf. Acht lange Jahre hat er jetzt ohne sie gelebt und sich seit dem Tag, an dem er sie tot fand - das letzte Opfer von Jack the Ripper -, Vorwürfe gemacht, dass er sich nicht eher seinem Vater gestellt und für seine Liebe zu der Prostituierten gekämpft hat. Sein Cousin kann ihn im letzten Moment davon abhalten und zeigt ihm den Flyer einer neuen Firma: "Zeitreisen Murray". Murray hat einen Weg gefunden, den Londonern des ausklingenden 19. Jahrhunderts die Zukunft zu erschließen. Wird es auch möglich sein, in die Vergangenheit zu reisen und diese zu ändern?
Claire Haggerty fühlt sich zu fortschrittlich für ihre Zeit. Sie kann mit den weiblichen Zeitvertreiben und der Bräutigamsuche wenig anfangen. Daher fasst sie den Entschluss, mit "Zeitreisen Murray" ins Jahr 2000 zu reisen und heimlich dort zu bleiben. Auf ihrer Reise lernt sie den mutigen Hauptmann Shackleton kennen, der dazu bestimmt ist, die Welt zu retten. Die beiden können sich jedoch nur über die Zeitkluft hinweg Liebesbriefe schreiben. Wird Claire den Hauptmann je wiedersehen?
Inspektor Garrett hat ebenfalls bereits an einer Zeitreise der Firma "Zeitreisen Murray" teilgenommen. Als dann im London seiner Zeit Leichen mit merkwürdigen Verletzungen auftauchen, ist ihm sofort klar, wo er eine solche Waffe schon einmal gesehen hat: im Jahr 2000 in der Hand des Hauptmanns Derek Shackleton! Nun richtet er sein ganzes Tun darauf aus, den Hauptmann dingfest zu machen, und zwar in der Zukunft.
Und alle diese Geschichten haben eines gemeinsam: sie alle stehen in irgendeiner Beziehung zu H.G. Wells, dem Autor der "Zeitmaschine".

Zugegeben, dieses Leseerlebnis war für mich ziemlich durchwachsen. Immer wieder habe ich das Buch unterbrochen um zwischendurch Spannenderes zu lesen. Auch ist das Buch mit seinen über 700 Seiten und seiner Aufmachung als Hardcover auf Dauer recht unhandlich. Gleichzeitig finde ich die Aufmachung insgesamt aber doch wunderschön und auch das Cover fasziniert mich immer wieder. Es ist im Stil der beginnenden Industrialisierung gehalten und bildet damit wunderbar das viktorianische Zeitalter ab, in dem es spielt. Es erinnert an Sherlock Holmes, der in diesem Buch auch immer wieder Erwähnung findet. Doch am besten haben mir die Referenzen zu Autoren und deren Werken aus dieser Epoche gefallen.
Lange Zeit fand ich das Buch nur mittelmäßig und habe etwas gekämpft, wollte dann aber doch wissen, wie es mit den einzelnen Charakteren weitergeht. Die letzten 100 Seiten haben meine Meinung allerdings erheblich revidiert, denn dann fallen endlich alle Puzzleteile an ihren Platz und alles ergibt Sinn. Auch das Metaphysische, an das man inzwischen den Glauben verloren hatte, kam dann doch noch zum Tragen und man war bereits selbst genauso Skeptiker wie Wells. Es war immer wieder faszinierend, wie alles bei Wells zusammenlief und welche Wahrheit wirklich dahinter steckte. Langsam ergab sich auch die Chronologie und man konnte die einzelnen Episoden dieses Romans (Andrew, Claire und Garrett) zeitlich einordnen, wobei ich mir manchmal nicht sicher war, ob die Chronologie wirklich passte.
Den Humor des Erzähler fand ich herzerwärmend, wenn er auch an spannenden Stellen wirklich verloren ging und in keinster Weise daran erinnerte, dass ein alles wissender Erzähler vorhanden ist. Zwischendurch kommentiert er jedoch immer wieder, was er erzählen "muss". Bspw. dass der Kutscher von Andrew zweimal das Gleiche denkt, verleitete den Erzähler dazu, sich dafür zu entschuldigen.
Alles in allem konnte mich dieser komplexe Plot also überzeugen und hat Ebenen und Anspielungen geöffnet, die noch lange nachklingen. Auch immer wieder die Frage, was passiert, wenn die Vergangenheit geändert wird, hat mich mitgrübeln und an den Erklärungen zweifeln lassen. Dass der Roman zeitgenössisch ist, aber eine Vorausschau auf das Jahr 2000 geben will, lässt den Leser interaktiv mitwirken, indem er seine Realität mit der Realität von "Zeitreisen Murray" abgleichen kann. Auch die Lösung mit Jack the Ripper ließ mich lange stutzen, da ich mich immer wieder fasziniert mit diesen Verbrechen befasst habe. Als schließlich 100 Seiten vor Schluss die Episode mit dem teuflischen Bibliothekar seinen Lauf nimmt, macht es beim Leser mehrmals "Klick". Jedoch war nicht nur der Plot komplex, sondern auch die Charaktere. Und Palma scheut sich nicht, auch die Lebensgeschichten der Figuren am äußersten Rand der Geschichte noch mitzuerzählen.

Mein Fazit und meine Empfehlung bei diesem Buch lauten: Durchhalten lohnt sich! Auch wenn die Geschichte streckenweise zäh wird und die Geduld belastet, so ist das Ende doch mehr als entschädigend! Der Erzähler der Geschichte würde wahrscheinlich so etwas sagen wie "Es kann nicht alles Spaß sein im Leben, manchmal ist auch harte Arbeit nötig".