Verrückte & philosophische Geisterjagd

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amara5 Avatar

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"Die Leben danach" ist der erste Roman von Thomas Pierce, erscheint im Dumont Verlag und ist rund 400 Seiten lang.

Nachdem der 33-jährige Jim Byrd, Kreditberater in der langsam von weißhaarigen Rentnern gentrifizierten Stadt Shula, einen Herzstillstand erleidet und für fünf Minuten klinisch tot war, sorgt ihn ständig eine Frage ständig: Warum hatte er keine Nahtoderfahrung, keine helle Begegnung oder sonstige Erlebnisse, sondern einfach nur einen gedankenlosen Schlaf? Was passiert nach dem Tod, leben wir in irgendeiner Form weiter und könnten wir sogar wieder Kontakt mit den Verstorbenen aufnehmen?
Er bekommt den allerneuesten, aber von Hackern bedrohten, Herzschrittmacher HeartNet implantiert, so dass er via Smartphone ständig in Kontakt mit seinem Herzen sein kann und trifft seine alte Jugendliebe Annie, deren Mann vor einigen Jahren gestorben ist. Die beiden verlieben sich neu ineinander und auch Annie stellt sich die Frage, was nach dem Tod sein könnte und lädt Jim in die "Kirche der Suchenden" ein - dort werden eher freigeistig allerhand wissenschaftliche Vorträge gehalten.

Ein beruflicher Zufall bringt Jim (und auch Annie) in ein Restaurant, in dem es auf der Wendeltreppe spukt - "Der Hund brennt!" scheint eine Stimme hinter der Wand zu rufen und Menschen fallen von der Treppe, sind augenblicklich tieftraurig und sehen Dinge. Jim beginnt zu recherchieren, wer in dem Haus zuvor gewohnt hat - das Lennox-Ehepaar, welches samt Hund bei einem Brand ums Leben kam. Und er stößt auf die Physikerin Zinker, die sich mit überlappender Zeit und der Daisy-Theorie beschäftigt und an der Entwicklung einer "Geister"-Maschine arbeitet - der Wiederbegegnungsmaschine, in der man für eine Sekunde ins Jenseits reisen kann. Oder ist sogar die rätselhafte Treppe ein Zeitloch?

Der Roman von Thomas Pierce ist anders - was am Anfang ein sanft philosophisches Ausloten von zwischenmenschlichen Beziehungen (Liebe, Eltern, Arbeitskollegen, Stieftochter) und der Frage nach dem Tod ist, wird immer mehr zu einem spannenden Science-Fiction-Drama am Rande der Wissenschaft! Zeitsprünge zu den Lennox und anderen verstorbenen Bewohnern, die mit dem Spukhaus zusammenhängen, überlappen die eigentliche Handlung und der "Hund brennt" immer wieder. Jim ist mittlerweile bessessen von den unterschiedlichsten Todes- und Daisy-Theorien und von der spukenden Treppe, würde gerne seinen mittlerweile verstorbenen Vater wieder treffen und Annie ihren ertrunkenen Ehemann. Sie machen sich zwischen mittlerweile überall grassierenden Hologrammen auf die Suche nach Sally Zinker.

Der Tod dringt immer mehr ins Leben ein - trotzdem schreibt Pierce philosophisch klug und zwischenmenschlich scharfsinnig über das Leben, auch wenn der Leser manchmal Mühe hat, den unterschiedlichen Zeitsträngen zu folgen. Der Schreibstil ist tiefgründig, angenehm und luftig eloquent, eine zarte Prosa - hat mir sehr gut gefallen.

Doch welche Geschichte möchte Pierce hier wirklich erzählen? Eine über wie lange Paare romantisch miteinander umgehen, eine über die Sinnfrage nach dem Tod, eine über Geister (auch die unserer Vergangenheit) eine über technische Zukunftsvisionen und überlappenden Zeitleisten? Irgendwie von allem ein bisschen etwas - manchmal war mir nicht ganz klar, wie sich diese Handlungsstränge miteinander verbinden lassen, an manchen Stellen aber schon. Was mich aber immer wieder anzog, war Pierces feines Gespür für emotionale Details.

Es ist ein berührender, experimenteller und nachdenklich stimmender Roman - eine sehr überraschende Reise in den Tod - und wieder zurück. Halb Realismus, halb etwas viel Größeres, Fremdes, zu dem uns Pierce mitnimmt.