So weit und leer wie die russische Steppe

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miltonia 01 Avatar

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Ich hatte mich sehr auf dieses Buch gefreut, da ich den Schreibstil von Alexander Osang im „Spiegel“ immer gut fand, aber leider trifft das Buch so gar nicht meinen Geschmack. Ich hatte einen wunderbar dicken und breiten Familienroman erwartet, natürlich lösen sich im wahren Leben auch nicht alle Rätsel auf, aber das erschien mir schon alles sehr inhaltsleer.

Das Buch beginnt im zaristischen Russland, kurz vor Ausbruch der Revolution. Jelenas Vater wird von der betrunkenen Dorfbevölkerung erschlagen und im Nachhinein zum großen Revolutionär und Märtyrer für die kommunistische Sache stilisiert. Ihre Kindheit und Jugend mit dem gewalttätigen Stiefvater ist nicht wirklich schön, allerdings findet sie doch ein zartes junges Liebesglück. Später bietet sich ihr die Chance, einen deutschen Ingenieur kennenzulernen, der der russischen Produktion auf die Sprünge helfen soll und ergreift diese Möglichkeit, ihrem Leben in der russischen Provinz zu entkommen, es geht nach Leningrad, nach Moskau, nach Berlin und schlussendlich nach Sorau in Schlesien, die Heimatstadt ihres Mannes. Es werden 5 Mädchen geboren, der Krieg beginnt, die Familienverhältnisse sind allesamt unfreundlich und trotz all dem wird mir Elena nicht fassbar. Ob sie ihren Mann zumindest mag, von Liebe ganz zu schweigen, wird mir nicht klar, die anderen Männer, die ihr Leben streifen, sind eigentlich auch nur Staffage, soweit sie ihr nützlich sein können. Irgendeinen Ehrgeiz, ein Interesse an irgendeiner Sache gibt es nicht in ihrem Leben. Die Zuneigung zu ihren Töchtern ist auch sehr unterschiedlich verteilt, sie schafft es mit Bravour, die Leben und Entwicklungen der Mädchen nach ihren eigenen Vorstellungen zu lenken, Begabungen und Leidenschaften der Töchter werden eisern unterdrückt und so ist es kein Wunder, dass alle Töchter unglücklich und untereinander sehr zerstritten sind. Dieses destruktive Muster zieht sich dann weiter bis in die Enkelgeneration, die ebenfalls nicht in der Lage ist, ein halbwegs normales glückliches Leben zu führen.

Parallel wird das Leben des Mittvierzigers Konstantin, des Enkels von Elena, geschildert. Er lebt in Berlin, hat einen Sohn, von dessen Mutter er getrennt ist und reibt sich permanent an seinen Eltern auf. Von was er eigentlich lebt, bleibt mir unklar, er verkauft sich unter dem Label „Filmemacher“, aber da er sein ganzes Leben halbherzig und ohne erkennbares Engagement führt, ist wohl klar, dass die Erfolge sich eher nicht einstellen werden.

Schlussendlich kommt er auf die Idee, den diversen Geschichten der Familie nachzugehen, aber außer großem Aufwand bis hin zu einer Reise nach Russland kommt da nicht viel heraus. Weder kann er in Erfahrung bringen, wohin sein Großvater/ Elenas Mann in den Kriegswirren verschwunden ist noch kann er die unterschiedlichen Geschichten und Interpretationen seiner Mutter und Tanten in Einklang bringen. Hier musste ich mich wirklich zwingen, das Buch überhaupt weiter zu lesen, irgendwie hatte ich doch die Hoffnung, dass zumindest einige Familienrätsel noch gelöst werden, aber dem war nicht so. Grundsätzlich lebe und leide ich liebend gern mit den Figuren meiner Bücher, aber hier war für mich nur Langeweile.

Grundsätzlich ist mir noch am ehesten Konstantins Vater Claus halbwegs sympathisch, der halb dement im Pflegeheim lebt, ansonsten würde ich wohl im wahren Leben auf die Bekanntschaft aller anderen Personen gern verzichten. 2 Sterne gebe ich, weil ich die Beschreibung der Zustände in Russland sehr treffend finde, den Berliner Teil finde ich nur langatmig und ohne viel Substanz.