"das BKA, eine Behörde am Anschlag" und ein Leser in Hochspannung bei diesem Pageturner

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elke seifried Avatar

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„Sieben Jahre V-Mann und jetzt – endlich – kann er liefern, was Kawert will: Die RAF plant ein Attentat.“, das ist die Eintrittskarte für ein neues Leben. Doch weder der V-Mann Gereon wird weiterleben dürfen, noch der Anschlag wird verhindert werden können. „Noch nie in seinem Leben – noch nie - hat Kawert sich so sehr wie ein Versager gefühlt wie heute.“, sein umstrittenes V-Mann Projekt konnte wieder keinen Erfolg vorweisen, wieder einmal knapp daneben, wieder waren die Terroristen schneller. Wird es dem BKA-Mann Andreas Kawert wenigstens gelingen, das angeblich nächste geplante Attentat auf Treuhandchef Hans-Georg Dahlmann zu verhindern?

Der Autor spielt mit unterschiedlichen Handlungssträngen, die sich zunehmend rasanter abwechseln und der Geschichte unheimlich viel Fahrt verleihen. Man begleitet zum einen Kawert, den BKA- Mann, und erfährt somit von deren Wissensstand und ihren Bemühungen und Maßnahmen in der Bekämpfung der RAF. Ebenso lernt man nach und nach den Treuhandchef Dahlmann, seine neue Assistentin Sandra Wellmann und deren Funktion bei der Überführung der Staatsbetriebe der untergegangenen DDR in die Privatwirtschaft kennen. Zudem bekommt man auch die Perspektive der RAF Attentäter geboten, die ihrem Opfern stets auf der Spur sind.

„In dem Moment spielen sie Baader, Ensslin, Meinhof. Statt in einem Porsche aber sitzen sie im Ford eines Studienrats.“ Den historischen Hintergrund für diesen Thriller liefert die dritte Generation der RAF. „In der Wohnung hängt noch der Geruch von einer Zigarette wie eine Signatur, ein Spott, fast wie der Fingerabdruck auf der Rückseite einer Toilette.“ Gelungen eingefangen ist deren Vorgehen, man bekommt Einblicke in Ausbildung, Arbeitsweise, Charaktere und deren Familienleben. Auch die Rolle der Stasi wird nicht ausgespart. Verwoben wird dies mit der Arbeit der Treuhand, der überforderten Behörde, die nur stichprobenartig überprüfen kann, ob Betriebe unter der Hand verramscht werden. Auch hier erhält man, ebenso wie von der Arbeit des BKA bei der Terrorabwehr, eine gute Vorstellung, die sich stark an der Realität orientiert, was mir sehr gut gefallen hat.

„Es gibt Töchter, neben denen die Mütter ihrer Identität verlieren, so wie es Schwestern gibt, deren Existenz die eigene zerstören kann.“ Wirklich großartig empfand ich, wie der Autor auch auf die Familien der Betroffenen eingeht. Emotional hat er mich so richtig ans Buch gezurrt. Ich habe schockiert gelesen, wie kalt eine Mutter ihr Kind für die RAF in den Schatten stellen kann, wie die ganze Familie leidet, ein Sohn, der die Frage, warum hat Mama das getan, nicht beantwortet bekommt, eine Schwester, die für die Taten, die sie nicht begangen hat, ebenso mit verantwortlich gemacht und geächtet wird, wie die Mutter, die sich ihr Leben lang nicht von den Selbstvorwürfen befreien kann. Auch die Opfersicht ist gelungen und bewegend gezeichnet, so werden wohl am allerwenigsten kleine Kinder das Trauma wieder los, wenn neben ihnen Papa oder Opa ermordet wird.

Der Schreibstil des Autors hat mich von Anfang an gepackt. Pointiert, rasant, viele Perspektivwechsel und Dialoge machen diesen Thriller zum richtigen Pageturner. Richtig gut haben mir auch die bildreichen Beschreibungen gefallen, ich hatte das Gefühl live mit dabei zu sein, habe gebibbert und gefiebert. Grandios empfand ich auch die besonderen, teils auch scharfen Vergleiche der Art „Der Weg vom Schneckensalat zur Bestechlichkeitsklage war kürzer als der Weg, den eine Gabel mit Trüffelhäppchen zum Mund brauchte.“, „…kann diesen sabbernden Tonfall, in dem immer ein Bäuerchen aus Saumagen, Selbstzufriedenheit und beleidigter Anklage mitschwingt nicht leiden.“, oder „Miserabel blondiert, ein flotter Dreier zwischen Orange, Goudagelb und – an den Haarwurzeln – resolut sich meldendem Rotbraun.“.

Authentisch, individuell und mit Tiefe ist meiner Meinung nach auch die Figurenzeichnung gelungen. Kawert, mit einem super Gespür, hat er sicher den Rückhalt seines Chefs verdient. Er war mir von Anfang an äußerst sympathisch und ich habe ihn bei seinen zehrenden Ermittlungen super gerne begleitet. Meinen Hut ziehe ich vor Jacobi, Kawerts Chef im BKA, der trotz Kritik und Druck von oben immer hinter ihm steht, notfalls auch wenn es ihm selbst an den Kragen geht. „Aber ich führe mein Amt nicht so, dass ich meinen eigenen Kopf rette, indem ich meine Generäle an die Wand stellen lasse.“, was man ja eher selten findet. Treuhandchef Dahlmann, bekommt wie fast alle Mitspieler hier eine persönliche Note, was ihn mir sympathisch gemacht hat. Sandra Wellmann ist ein super Beispiel dafür, was geschieht, wenn ein Puppenspieler einem das Hirn aushebelt und tanzen lässt. Sie weiß gar nicht wofür sie kämpft, funktioniert nur noch. Ihre Entwicklung habe ich ebenso schockiert, wie gebannt verfolgt. Aber auch alle anderen Mitspieler sind großartig dargestellt, bei Sandras Sohn Markus angefangen, der mir mit am meisten leid getan hat, über Bettina Polheim, die knallharte RAF Terroristin, die sich scheinbar immer im Griff hat, bis hin zu Julia Dahlheim, die sich wohl gründlich in ihrer Studienfreundin getäuscht hat.

Alles in allem war das mein erster Thriller aus der Feder des Autors, wird aber definitiv nicht mein letzter bleiben, denn mit diesem Pageturner hat sich André Gerorgi auf die Liste meiner Lieblingsautoren katapultiert. Begeisterte fünf Sterne.