Die Wiedervereinigung als Gewinnoptimierung für eine neue Gruppe der Nouveau Riches

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kleine hexe Avatar

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Ein aufrührendes Buch teils Thriller teils fast ein Tatsachenbericht über die Treuhandanstalt und die RAF. Wenn ich RAF sage, meine ich nicht mehr die Terroristen von 1977, Baader, Ensslin & Co., sondern die Verbrecher der dritten Generation, die mit mittlerweile recht obskuren altkommunistischen Parolen und im Namen längst überholten Ideologien Attentate verübten. Aber wenn man dieses Buch liest, kommen einem Zweifel auf. Waren die Attentate wirklich von der RAF.3 verübt worden? Oder wurde der Präsident der Treuhandanstalt von Profis getötet und die Tat dann der RAF in die Schuhe geschoben? Oder waren einzelne Mitglieder der RAF käuflich und töteten wen die großen Geldgeber bestimmten, ohne dass es die anderen RAF-Mitglieder wussten? Das sind lauter Fragen, die dieses Buch aufwirft. Sehr spannend und flüssig geschrieben, reißt es den Leser von Anfang an in einen heftigen Strudel aus Politik in den allerhöchsten Kreisen, Korruption (ebenfalls dort angesiedelt), dem Kampf des kleinen Mannes um seinen ehemals sicheren Job, fehlgeleiteter Ideologie von RAF Mitgliedern und Sympathisanten, und was noch alles in diesen Mahlstrom zeitweise an die Oberfläche gerät.
Im Buch heißt der Präsident der Treuhandanstalt Hans-Georg Dahlmann, der Mann der von einem Scharfschützen am 01. April 1991 getötet wurde war Detlev Karsten Rohwedder. Die Terroristen im Buch heißen Lars Oehmke, Matthias Gelfert, Bettina Polheim, Sandra Wellmann. Die bekannt gewordenen Terroristen der 90er Jahre hießen – nein, ich halte es mit dem Vers aus Gottfried August Bürgers „Lenore“ »Ach. laß sie ruhn, die Toten.« Sie mögen hier ungenannt bleiben, ruhmreich waren sie nicht, die Ideale der 68er haben sie allesamt verraten.
Die Sprache ist sehr pointiert. Mit wenigen Sätzen kommt André Georgi zur Sache, treffsicher wie ein Scharfschütze. So hegt Sandra, trotz ihrer terroristischen ‚Aktivitäten und propagierten Parolen über Weltrevolution und Tod den Ausbeutern doch noch „den kleinen Traum vom Spießerleben mit Festgehalt und Rentenkasse, gefüllt aus Banküberfällen in der wilden Jugendzeit oder gefüllt von Augstein oder der Stasi oder wem auch immer. Und in einer Kaffeedose im Bücherregal versteckt, das Dankschreiben von Fidel Castro für ihren Beitrag zur Weltrevolution“. (S. 262) Diese kurzen Sätze beschreiben genau den schizophrenen Zwiespalt aus dem Sandra Wellmann heraus agiert. Einerseits „Tod den Palästen und Friede den Hütten“ andererseits will sie für sich das kleine Spießerglück: Mann und Sohn und Strand „mit Shisha und Falafel“. Wie soll Hans-Georg Dahlmann die VEB Betriebe nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft privatisieren, wenn seine engsten Mitarbeiter entweder Terroristen der RAF oder Handlanger des Großkapitals sind?
Wie schon eingangs erwähnt, „Die letzte Terroristin“ von André Georgi ist ein aufrührendes Buch über das erste Kapitel des vereinigten Deutschland. Lesenswert, hoch interessant, lässt das Buch keine Distanz zum Thema zu. Und Warnung und Spoileralarm: Das Ende ist bitter. Richtig gallenbitter.