Wenn Feuer mit Feuer bekämpft wird

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
ismaela Avatar

Von

Nach gut der Hälfte des Buches denkt sich Kawert an einer Stelle einmal: „Was ist schiefgelaufen? Was hast du verbockt, dass deine Tochter zu diesem scheißintriganten Luder geworden ist? Hast Du nichts gemerkt?“ Diese oder ähnliche Gedanken gehen einem als Leser ebenfalls immer wieder durch den Kopf, vor allem dann, wenn man sich vorher schon ein bisschen mit der RAF auseinandergesetzt hat und weiß, dass die Geschehnisse, die Andé Georgi in „Die letzte Terroristin“ beschreibt, tatsächlich stattgefunden haben. Er verändert die Namen und schmückt hie und da aus, aber die geschilderten Terrorakte waren im Deutschland nach der Wende blutige Realität.
Man merkt, dass der Autor vor allem Drehbücher schreibt, deshalb hatte ich anfangs ein paar Schwierigkeiten, den vielen Namen irgendwie Gesichter zuzuordnen, um sie auseinanderhalten zu können. Es geht auch nicht wirklich nur um die „letzte Terroristin“ Sandra Wellmann, die sich bei Dahlmann einschleicht, um einen Mord durchführen zu können. Es geht vielmehr um das Katz- und Mausspiel zwischen der letzten Generation der RAF und der Polizei, der Staatsmacht. Auch der Ermittler Kawert kommt für meinen Geschmack ein bisschen zu kurz, auch wenn es Georgi gelingt, ihm mit wenigen Federstrichen ein tiefes Profil zu geben. Die Resignation und die Verzweiflung, die immer weiter von ihm Besitz ergreift, weil Mord um Mord passiert und er immer zu spät kommt, ist fast mit den Händen zu greifen. Aber auch die Abscheu vor den Mitgliedern der RAF wird immer größer, wenn sie sich mit ihren zusammengebastelten, verschwurbelten Weltanschauungen einzureden versuchen, ihre Morde und Verbrechen dienten einem höheren Zweck, geschähen zum Wohle der Menschheit. Und würden auch nicht den Menschen an sich treffen, sondern vor allem das Amt, das er ausfüllt. Dementsprechend hätte auch Dahlmann die Wahl gehabt: er hätte sich als Chef der Treuhand auch verweigern können.
„Was ist schiefgelaufen?“
Eine große Stärke des Buches ist, dass Georgi nicht nur die Morde beschreibt, sondern auch in kurzen Zukunftsversionen zeigt, wie sich diese Terrorakte auf die Angehörigen der Opfer auswirkt und auswirken wird. Ob es nun die Tochter ist, die das Auto, in dem ihr Vater sitzt, explodieren sieht, oder der Sohn von Sandra Wellmann, der ein Leben lang unter den Verbrechen der Mutter zu leiden haben wird. Oder die Tochter Dahlmanns, die nach dem Mord zu Sandra Wellmanns Mutter sagt: „Wir haben nicht die Kraft, Sie zu trösten.“ Das ist ganz großes Kopfkino. Der letzte Schlag am Bahnhof in Bad Gronau durch die GSG 9 hinterlässt beim Leser dann wenigstens einen Hauch Genugtuung, als es eine Terroristin endgültig erwischt, und die andere gefasst und nach Stammheim verbracht wird. Auch hier bleibt Kawert leider unsichtbar.
Trotzdem ein Buch, das noch länger nachhallt. Lesenswert!