Die Schattenseiten von Versailles

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scarletta Avatar

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Eine junge Frau in feinen Gewändern sieht man auf dem Cover durch einen verspiegelten Saal im Schloss von Versailles eilen. Wer ist sie? In welcher Beziehung steht sie zur Französischen Monarchie?

In vier große Abschnitte ist der umfangreiche Roman aufgeteilt. Der erste Teil lässt uns am Schicksal der jungen Véronique Roux teilnehmen.
Als älteste Tochter einer verarmten Familie im Paris des Jahres 1755 obliegen ihr einige Aufgaben im kargen Haushalt ihrer verwitweten Mutter. Die Näherin, die mit alten verschlissenen Kleidern handelt, muss noch drei jüngere Söhne durchbringen. So verschachert sie das 14jährige Mädchen an einen Beauftragten des Königshofes, der unter verdecktem Namen auftritt. Dieser hat vor allem Véroniques auffallende Schönheit, ihre Unschuld und Arglosigkeit im Blick. In Tagebucheinträgen des jungen Mädchens erfahren wir, dass sie zunächst an eine Dienststellung glaubt. Doch sie wird in ein höchst luxuriöses Anwesen, dem „Hirschpark“ geführt, in dem Mädchen unterrichtet, gut gekleidet, aufs Beste versorgt und angeleitet werden, einem polnischen Verwandten des Königshauses zur Verfügung zu stehen. Nur nach und nach erfährt Véronique einzelne Details aus dem Arrangement.

Neben den intensiven Berichten aus der Sicht des Mädchens erfährt man aus der Perspektive des Erzählenden, was die wirklichen Hintergründe sind. Eigentlich ist es der König Ludwig (Louis) XV. selber, der hier seine „Mäuse“ zur Unterhaltung und zum sexuellen Vergnügen bereithalten lässt. Doch als Véronique schwanger wird, ändert sich ihr Schicksal dramatisch. Nicht mehr benötigte Mädchen werden andernorts verheiratet oder finanziell ausgezahlt.

Die drei anderen Teile des Romans schildern das Aufwachsen und wechselvolle Leben von Véroniques Tochter Marie-Louise. Der Name ihrer Mutter wird ihr vorenthalten, als sogenannter „Bastard des Königs“ wird sie von Amme und Pflegefamilien anonym groß gezogen. Marie-Louise wächst aus dem ausufernden Luxus der Monarchie in deren Sturz und die Zeit der französischen Revolution hinein. Endlich stellt Marie-Louise, mittlerweile ausgebildete Hebamme, Nachforschungen an und geht auf die Suche nach ihrer Mutter. Die Bedrohung durch die Revolution wächst, denn die „frisst“ ja bekanntlich am Ende „ihre eigenen Kinder“.

Fazit:
Die Autorin Eva Stachniak versteht es, gut recherchierte Zeitbedingungen mit einer spannenden, interessanten Geschichte zu verknüpfen. Auf den Sturz des Königs und die Revolution wird allerdings nicht näher eingegangen, nur insoweit es die Protagonistinnen berührt. Dafür kann man sich sehr gut in deren Lebensbedingungen einfühlen. So erhält man detailreiche Einblicke in die verschiedensten Gesellschaftsschichten.

Im ersten Teil wird Véroniques Sicht kursiv gedruckt, um sie von der Erzählebene mit der Perspektive anderer Figuren zu trennen. Intensiv ergreift man auf diese Weise die schlimme Situation des jungen Mädchens. Mich irritierte beim Lesen nur, dass die Tagebucheinträge in Vergangenheitformen geschrieben sind, während der Erzählteil im Präsens gehalten ist. In den restlichen drei Teilen wird wie gewohnt im Präteritum erzählt.

Im Nachwort geht die Autorin auch noch auf bestimmte Punkte ein, wie das Haus „Hirschpark“ in Versailles, das es tatsächlich gegeben hat. Heutzutage würde ein derartiger Umgang mit diesen Mädchen eindeutig als Kindesmissbrauch verurteilt.
Dass sich die Willkür der Machthabenden von der Monarchie bis in die Revolution fortsetzt – es ändern sich nur die Namen und der Stand - , wird nur zu deutlich.

Nicht immer gelang es mir, ganz in die Gefühlswelt beider weiblichen Hauptfiguren einzutauchen. Es blieb meist eine gewisse Distanz. Doch Spannung und facettenreiche Beschreibung der Zeit zogen mich immer wieder mit. Wer gerne historische Romane liest, wird hier auf jeden Fall auf seine Kosten kommen.

Normalerweise schaue ich mir vor dem Lesen die Klappentexte nicht an. Das hätte ich hier auch so halten sollen. Für meinen Geschmack wurde hier viel zu viel gespoilert.