Unterwegs

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buecherfan.wit Avatar

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In Scott Bradfields Roman "Die Leute, die sie vorübergehen sahen" wird ein dreijähriges Mädchen namens Salome Jensen, genannt Sal, von dem Mann entführt, der in ihrem Elternhaus den Heißwasserboiler repariert. Er bewundert und liebt das Kind und lebt mit ihr eine Zeit lang in ärmlichen Verhältnissen in einem heruntergekommenen Bungalow in Van Nuys. Eines Tages überschwemmt Starkregen den Bungalow, "Daddy" verschwindet spurlos, und Sal wird von der Vermieterin Mrs Andersen mitgenommen, die sich schon vorher sehr für ihren Mieter und das kleine Mädchen interessiert hatte. Mrs Anderson erzählt dem Kind Geschichten aus ihrem Leben, vor allem wenig kindgemäße Männergeschichten. Der Leser erfährt, dass sie in der Vergangenheit zwei Kinder an die Fürsorge verloren hat und nicht vorhat, noch ein drittes abzugeben. Aus dem Klappentext wissen wir, dass Sal im Land herumkommen und mit noch vielen anderen Erwachsenen zusammenleben wird.
Bradfields Roman ist eine sehr ungewöhnliche Entführungsgeschichte. Niemand scheint das Kind zu vermissen. Die Polizei ermittelt nicht, und Sal passiert zumindest am Anfang nichts Böses.
Sie scheint ihre leiblichen Eltern schnell zu vergessen und passt sich den jeweiligen Umständen geschickt an. Sal ist eine außergewöhnliche Erzählerin, die mit kühler Distanz und der Sprache einer Erwachsenen analysiert, was sie sieht und erlebt. Bradfield füllt das typisch amerikanische Genre der Road Novel, der literarischen Entsprechung zu den Road Movies, mit neuem Leben und scheint mit seiner Namensgebung auf On the Road (Unterwegs) von Jack Kerouac, den bekannten Klassiker von 1957 anzuspielen, indem er seine Protagonistin Sal nennt - wie Sal Paradise bei Kerouac.
Mir gefällt die Leseprobe gut, und ich bin gespannt, wie Bradfield das bekannte Muster des Unterwegsseins abwandelt, um seine originelle Protagonistin die zeitgenössische amerikanische Gesellschaft mit dem Blick von außen und buchstäblich von unten analysieren zu lassen. Ein hochinteressantes Experiment.