Ein neuer Name für jedes neue Leben

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"Sie dachte an all die Reisen ohne Wiederkehr. Der Weg, den sie bisher genommen hatte, schien wie ein Traum, dessen Spuren nach und nach verblassten, je weiter sie ihm folgte. [...] Wieder stand ein Neuanfang bevor."

Chong wird als junges Mädchen von ihrem Vater und dessen Frau nach China verkauft und muss fortan einem alten, reichen Chinesen als Konkubine dienen. Doch der Alte stirbt bald, und Chongs Odyssee durch die Freudenhäuser und Amüsierviertel Asiens beginnt.

1. Drittel: Chongs Leben als junges Mädchen in Korea wird kurz angerissen - der Vater blind, die Mutter tot, nie genug zu essen. Da verkaufen der Vater und die Stiefmutter sie kurzerhand an die Chinesen und Chong wird mit 15 Jahren zur Konkubine des alten Ch'eng. Und ab hier wird es verstörend, denn die Sexszenen sind äußerst sinnlich beschrieben. Bis man sich dann wieder vergegenwärtigt, dass hier ein 80 Jahre alter Mann ein 15-jähriges Mädchen betatscht, das als Sklavin verkauft wurde, weil er sich davon ein längeres Leben erhofft. Daran ist nichts Sinnliches - das ist Missbrauch. In diesem Spannungsfeld bewegt sich das gesamte erste Drittel, und den eigenen Abscheu kann man kaum im Zaum halten.

2. Drittel: Chong gelingt es, beim Angriff auf die Stadt, in der sie mit Ch'engs Sohn lebt, zu fliehen. Hier tangiert der Autor kurz die Opiumkriege, was es ermöglicht, den Roman zeitlich einzuordnen. Doch hier zeigt sich bereits, wie wenig sich der Autor darauf versteht, einen Spannungsbogen aufrechtzuerhalten, sobald es an die Hintergrundinfos geht. Zu viele Namen, zu viele Städte, zu viele kleinteilige Erklärungen. Da schweift die Aufmerksamkeit schnell ab, ich wurde manchmal richtig ungeduldig und konnte nicht weiterlesen. Doch insgesamt nimmt die Geschichte im zweiten Drittel Fahrt auf. Chongs Odyssee durch diverse Freudenhäuser beginnt, von Taiwan gelangt sie nach Singapur, und letztlich nach Japan. Mit jeder Station ändert sich auch ihr Name, doch wenn man der Erzählung glaubt, bleibt die junge Frau sich dennoch immer treu. Was das genau bedeuten mag, muss jeder für sich selbst entscheiden, denn Chongs Charakter und ihre Gedanken- und Gefühlswelt sind nur sehr selten Gegenstand der Geschichte. Man erfährt zwar, dass sie sehr wohl weiß, was sie kann und will, nimmt sie aber dennoch eher als Spielball des Schicksals und der Männer wahr, der es von der verkauften Konkubine zur Fürstengattin schafft. Sie hält sich zwar an ihr Motto, niemals einem anderen Menschen zu schaden (im Gegenteil, sie setzt sich sogar sehr für die Benachteiligten ein), doch von diesem Motto erfährt man überhaupt erst am Ende des Buches. Um Chongs Leben dreht sich also alles, aber Chong als Person steht sicherlich nicht im Fokus des Buches, obwohl sie eigentlich eine sehr beeindruckende Persönlichkeit ist.
Chong begegnet so vielen Menschen auf ihrer Reise, dass die Namen sofort vergessen sind, sobald man sie gelesen hat. Und egal, wie sehr sie jemanden liebgewonnen hat, sobald sie sich räumlich von der Person trennt, wird sie auch nie wieder erwähnt. Das führt zu einer großen Personenausschussrate in diesem Buch, die bisweilen ganz schön nervt. Niemanden bekommt man richtig zu fassen, und Namen kann man sich schon gar nicht merken.

3. Drittel: *gähn* Hoffentlich ist es bald vorbei, dachte ich mir. Politisches Geplänkel aus dem (japanischen) Königreich Ryukyu interessiert mich ja mal gar nicht. Namen, Städte, Verbindungen - öde. Das legt der Autor immer wieder ausführlich dar, anscheinend, um die Hintergründe für dieses oder jenes Ereignis in Chongs (neuem) Leben zu erklären. Aber ernsthaft? Laaangweilig. Ich wurde auf den letzten Metern so ungeduldig, dass ich kaum noch still sitzen konnte. Eigentlich kann man sich die letzten 100 Seiten dieses Buches wirklich sparen - denn es passiert absolut nichts von Interesse. Wie schade, nach dem relativ starken Mittelteil. Der Autor hat mich hier komplett verloren, und leider habe ich von der asiatischen Geschichte aus den wirren Erläuterungen nur wenig mitgenommen.

Das Buch hinterlässt mit seinem verstörenden Anfang und seinem gähnend langweiligen Ende einen sehr faden Nachgeschmack bei mir. Es konnte mich im Verlauf ganz gut unterhalten, aber gegen Ende war das Lesen eine Geduldsprobe, die nicht belohnt wurde. Chong bleibt Beschreibungsobjekt und kommt nur selten selbst zu Wort - das sind dann allerdings sehr starke Momente. Warum nicht mehr davon? Es hätte mich mehr mitgerissen. Somit vergebe ich schwache 3 Sterne.