Berührend und aufrüttelnd

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thoronris Avatar

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Die Geschichte von Signe Munch ist eine Erzählung über das Leben einer sanften Frau, die in sich eine Stärke trug, die sie erst entdecken musste. Lena Johannson schreibt unaufgeregt und ruhig, passend zum Gemüt der Protagonistin, die mal fiktive, mal sehr reale Biografie einer erstaunlichen Frau.

Die Malerin des Nordlichts hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Passend zu einem historischen Roman, der in der jüngeren Vergangenheit spielt, ist der Schreibstil ruhig und unaufgeregt, voller schöner Wörter und distanzierter Dialoge, die die Welt, die wir nicht mehr kennen, vor unseren Augen aufleben lassen. Ebenso wie die Protagonistin ist der Stil nicht hier, um eine Revolution anzuzetteln, sondern um uns mitzunehmen auf die lange Reise, die manche von uns gehen müssen, um wirklich zu sich selbst zu finden.

Signe Munch hat die 30 schon deutlich überschritten, als sie es endlich wagt, das zu tun, was gut für sie ist. Aber auch nach ihrer Scheidung bleibt sie lange Zeit zurückgezogen und beinahe schüchtern im Umgang mit anderen Menschen. Als jemand, der nur zu gut weiß, wie überwältigend es sein kann, fremde Menschen um sich zu haben, deren Intentionen man nicht kennt, habe ich stets mit Signe mitgefühlt. Sie will mutig sein, aber sie kann nicht. Sie weiß nicht, wie es geht, und damals gab es noch nicht die Möglichkeiten, die wir heute haben, um unser innerstes zu stärken. Auch wenn es manchmal nur ein Satz ist, die Autorin schafft es stets, die Gefühle und Gedanken, die uns so verunsichern, auf den Punkt genau auszudrücken. So konnte ich mich schnell mit Signe identifizieren und habe ihre Reise voller Hoffnung verfolgt.

Ihre Liebe zu Einar ist ebenfalls so einfühlsam dargestellt, dass es beinahe an ein Wunder grenzt. Signe kennt nur eine Art, sich um einen Ehemann zu kümmern, doch das ist es gar nicht, was Einar von ihr will. Er will sie unterstützen und sich den Haushalt teilen - eine Vorstellung, die Signe so fremd ist, dass sie sich beinahe bedrohlich anfühlt, bis sie endlich versteht, dass er es ernst meint. Auch als er sich dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer anschließt, obwohl sie nur Ruhe, Sicherheit und Zweisamkeit mit ihm will, drängt er sie zu nichts, sondern fordert sie auf, ihrem Herzen zu folgen. Er hilft Signe, zu sich selbst zu finden, aber nicht, indem er ihr den Weg zeigt, sondern indem er ihr eine Hand reicht, wann immer sie fragt. Signe findet ihren Weg selbst, hat ihn schon immer gekannt, nur nie den Mut gehabt, ihn anzusehen.

Während wir über Signes Leben lesen, erhalten wir zudem einen tiefen Einblick in die Kunstszene des Norwegens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die genannten Vereinigungen und Ausstellungen, viele von Signes Werken, einige der auftretenden Personen, sie alle haben real existiert. Was für einige Leser eventuell etwas langatmig werden kann, hat mich ganz besonders fasziniert. Wir lernen wie anders als Edvard Munch sie malt, wie sie immer wieder mit sich hadert und sich schuldig fühlt, nicht so provokant zu malen wie andere der Osloer Bohème, bis sie schließlich in sich selbst die Stärke findet, das zu malen, was sie malen will. Es ist ein kunsthistorischer Ausflug in eine Welt, die mich ebenso fasziniert wie sie mir fremd ist.

Den ganzen Roman über schafft Lena Johannson es zu zeigen, wie wichtig unser Umfeld ist, wie sehr andere Menschen uns beeinflussen, während sie gleichzeitig nie in die Falle tappt und Signe Munch einfach nur zu einem Produkt ihres Umfeldes macht. Wenn Signe Munch wächst, dann weil sie sich bewusst dafür entscheidet, von anderen Menschen zu lernen. Jeder auftretende Charakter hat eigene Motivationen und verfolgt eigene Ziele, wodurch die Einzigartigkeit von Signes Persönlichkeit noch mehr unterstrichen wird.

Dieser historischer Roman auf den Spuren einer realen Persönlichkeit verwebt Fakten und Fiktion auf wundervolle Weise. Für mich ist dieses 2019 erschienene Buch schon jetzt ein Highlight meines Lesejahrs 2021.