Meisterhafter Thriller über die Dekadenz und Gräueltaten der Nazis

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In seinem historischen Thriller begleiten wir drei Protagonisten durchs Dritte Reich kurz vor Kriegsbeginn. Simon Kraus, ein brillanter Psychotherapeut und Traumforscher, genießt alle Annehmlichkeiten, die er kriegen kann. Er hat keine Skrupel, sich in einer Wohnung von enteigneten Juden mondän einzurichten. Ein Gigolo, der sich mit seinen Patientinnen einlässt, die allesamt die Ehefrauen hochrangiger Nazis sind. Und genau damit erpresst er sie.
Franz Beewen, Hauptsturmführer bei der Gestapo, ein Schläger, zerfressen von Hass, will um jeden Preis an die Kriegsfront, muss aber die Morde einiger Frauen aufklären, die grausam verstümmelt wurden. Ausgerechnet die Frauen, mit denen Kraus ein Verhältnis hatte. Alle hatten von dem Marmormann geträumt.
Minna von Hassel, die Leiterin der psychiatrischen Anstalt in Brangbo, in der Beewens Vater dahinvegetiert. Sie muss mit ansehen, wie ihre Klinik abgefackelt wird, weils sich die Deutschen aller Geisteskranken entledigen wollen.
Zusammen versuchen die drei, den Mörder ausfindig zu machen und geraten immer tiefer in die Maschinerie der Nazis. Im Laufe der Geschichte erleben sie, dass ihr vermeintlich sicheres Leben am seidenen Faden hängt.

Wer Grangé liest, weiß, dass man sich auf gewisse Längen einstellen muss. Er geht immer wieder ins Detail, auch bei seinen grausamen Morden. Ein paar Kürzungen hätten hier aber sicher nicht geschadet. Dafür hat er mit seinen Figuren umso mehr geglänzt, die zu Beginn reichlich unsympathisch sind, sich im Laufe der Geschichte aber immer mehr dem Leser von ihrer wahren, verletzlichen Seite zeigen. Mit Berlin als Schauplatz stürzt Grangé die Leser mitten ins Herz des Nationalsozialismus und zeichnet einige schaurige Szenen.

Er vermag es, die Stimmung, die zu Kriegsbeginn herrschte, gut einzufangen. Ob nun die grausamen Taten, die abartige Ideologie der Nazis oder die verbreitete Meinung, der Krieg sei eh bald vorbei. Zum Beispiel die Damen der hochrangigen Nazis, die jeden Nachmittag ausgelassen im Adlon feiern und sich einen Dreck scheren, was um sie herum passiert.
Grangé erspart uns keine Einzelheiten, wenn es um den Umgang mit Roma, Geisteskranken, Homosexuellen oder Juden – also den sogenannten Untermenschen – geht. Immer wieder untermauert er die fiktiven Handlungen mit historischen Fakten. Nach und nach offenbart sich die Tiefe der Geschichte ebenso wie die Ängste der Protagonisten, die sich hinter deren Fassade verstecken.

Im Gegensatz zu seinen anderen Thrillern fehlte mir der mystische Moment, der für Grangé so typisch ist. Aufgrund des historischen Hintergrunds kann ich mir aber vorstellen, dass das Buch auch die Leser erreichen wird, die Grangé noch nicht kennen.

Zum Teil habe ich auch mit der Übersetzung gehadert, die nicht immer flüssig zu lesen war. Ich brauchte lange, bis ich mich darauf einstellen konnte. Ungebräuchliche Fremdwörter, ein paar niveaulose Ausdrücke, die nicht ganz zu der Figur passte, machten das ganze etwas sperrig. Doch irgendwann war der Sog der Geschichte so groß, dass ich drüber hinwegsehen konnte. Es war fast wie eine Spirale, die mich immer tiefer ins Dunkel der damaligen Zeit zog.

Um so mehr war ich begeistert von den zahlreichen Wendungen, die die Geschichte nahm. Auf den letzten 100 Seiten hat Grangé mich dann nicht mehr vom Haken gelassen und mich mit seiner Auflösung einmal mehr überrascht.

Grangé zählt zu Recht zu den größten Thrillerautoren Frankreichs und ist von den Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Ein Autor, dem eindeutig mehr Aufmerksamkeit in Deutschland geschenkt werden sollte.