Das Buch ist so kalt wie die Mauer, von der es handelt

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"Wenn man auf der Mauer ist, wünscht man sich verzweifelt, wieder von der Mauer herunterzukommen. [...] Aber dann fängst du an dich zu fragen, warum? Zu welchem Zweck will ich überhaupt von der Mauer herunterkommen? Was wartet da draußen auf mich?"

England ist vollständig von einer hohen Mauer umgeben, die Die Anderen draußen halten und die Bewohner der Insel schützen soll. Joseph Kavanagh muss wie jede/r Engländer/in seinen zweijährigen Dienst auf der Mauer ableisten, und schnell entpuppt er sich als Naturtalent. Doch womit niemand rechnet, ist eine Intrige von innen, die Joseph und seinen Trupp in höchste Gefahr bringt.

Zugegeben, ich liebe Dystopien und egal, wie althergebracht die Themen scheinen, finde ich es doch immer wieder äußerst spannend, diesen Gedankenspielen zu folgen. "Die Mauer" ist per se nicht unspannend oder gar langweilig. Das Buch ist schlichtweg eisig, absolut distanziert vom Erzähler und vom Leser (obwohl Joseph die Geschichte selbst erzählt) - und das macht es so schwierig, irgendetwas zu empfinden.

Menschen werden auf dem eiskalten, dunklen Meer ausgesetzt; Menschen verbrennen bei lebendigem Leib; Menschen aus Josephs nächster Umgebung sterben; junge Mädchen werden von Piraten entführt, um als Sexsklavinnen zu dienen - und das alles ließ mich völlig kalt. Kein Schock, keine Trauer, keine Wut. Es war, als würde ich einen Zeitungsbericht über ein zwar schreckliches, aber weit entferntes und damit emotional wenig berührendes Ereignis lesen. Die Protagonisten rutschen von einer Ebene dieser Dystopie in die nächste, und es ist fast schon vorhersehbar; Überraschungsmomente habe ich vermisst.

So ist "Die Mauer" zwar sicherlich ein mahnendes Buch, ein "So könnte es bald aussehen", von einem führenden britischen Intellektuellen geschrieben, doch es entbehrt leider einer gewissen Nahbarkeit. Daher wird diese Geschichte mit ihren Gräueln in mir leider nicht nachhallen; dafür steht sie zu weit hinter anderen, großartigen Dystopien zurück.