Eine Hommage an das Leben

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anna-karenina Avatar

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Eine Hommage an das Leben, für das wir uns entscheiden trotz all denen, die wir hätten führen können.

Matt Haig stand schon ganz lange auf meiner Lese-Todo-Liste, doch nie kam ich dazu den Bestseller-Autor genauer zu begutachten. Nie hatte ich mich mehr gefreut, ein Buch rezensieren zu dürfen. Endlich durfte ich eines seiner Romane in den Händen halten.

Der Autor Matt Haig könnte einigen bekannt vorkommen, schon lange schreibt er Bücher rund um das Thema Depressionen. Mit Büchern wie „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ macht er das Thema salonfähig, denn auch Menschen ohne diese affektive Störung sind auf ihn aufmerksam geworden. So bin ich der Meinung, dass alle Menschen wenigstens unter situativen Depressionen leiden- ich meine wer denkt nicht über Gott und die Welt, übers Leben und Sterben nach und ist dabei auch mal traurig. Und doch sind Depressionen etwas Schlimmeres und für viele Menschen nicht Fassbares und Haig versucht sie in Worte zu verpacken, die wir alle verstehen und an Empathie zu appellieren, die wir hoffentlich alle in uns tragen. Und so bin auch ich in seinen Bann verfallen und durfte seinen Roman, den man ins Genre der spekulativen Fiktion einordnet, kennenlernen (Fiktion, weil uns keine Bibliothek zwischen Leben und Tod erwartet- VERMUTLICH).

Das Cover finde ich sehr gelungen, trotz des schweren Themas des Suizids ist es hell und gar nicht düster gehalten. Die Bibliothek in mitten des Covers leuchtet in Regenbogenfarben und lässt auf schöne Seiten hoffen.
Der Aufbau des Buches gestaltet sich meiner Meinung nach sehr angenehm. Es mag Leute geben, die kein Fan von kurzen Kapiteln sind. Ich liebe sie! Ich finde lange Kapitel oder gar ein ganzes Buch ohne Kapitel unglaublich anstrengend! Haigs „Mitternachtsbibliothek“ habe ich verschlungen und das lag unter anderem daran, dass man auch mal nur 2 oder 3 Seiten gelesen hat und das Buch immer wieder weglegen konnte. Man war trotzdem mitten im Geschehen und wusste trotzdem genau was passiert ist.

Der Inhalt ist kreativ. Gespickt von vielen philosophischen Zitaten begleitet man die junge intelligente Nora – wenn man es genau nimmt- eigentlich nur eine Nacht. Sie beschließt, nach vielen falschen Entscheidungen in ihrem Leben und einem Dasein voller Bereuen, sich das Leben zu nehmen. Plötzlich steht sie der Mitternachtsbibliothek gegenüber, in der sie jedes erdenkliche Leben ausprobieren darf, welches sie möchte und sie darf darin auch bleiben, wenn sie denn nur wirklich von Herzen will. Sie kann Entscheidungen ungeschehen machen, andere Wege eingeschlagen haben und genau da weitermachen wo sie zur selben Zeit in einem anderen Paralleluniversum wäre. Doch muss Nora feststellen, dass Entscheidungen nicht immer die falschen waren, und in anderen Leben manche Menschen nicht mehr da sind, andere Dinge passiert sind, und das nicht immer zum Guten. Man begleitet Nora auf der Suche nach dem perfekten Leben… aber gibt es das überhaupt?

Meine Meinung zu dem Buch ist, dass Matt Haig es wirklich geschafft hat, seinen Lesern zu zeigen, was das Leben ausmacht. Man lernt aus Noras Geschichte, dass es eine unendliche Anzahl an Leben gibt, die man hätte führen können, dass jede kleinste Entscheidung eine Vielzahl von Veränderungen nach sich trägt. Nora in ihrer Depression hat den Sinn dafür verloren, was sie in ihrem geleistet hat, wem sie in ihrem Leben geholfen und wessen Leben sie verändert hat. Sie fühlte sich voll von Bedauern und hat dabei die kleinen Dinge nicht mehr wertgeschätzt. Dabei gibt es so viel wofür es sich zu leben lohnt und so viel was das Leben einem noch bietet. Ich bin mir sicher, dass vielen Lesern das jetzt bewusster geworden ist und deswegen sage ich danke, lieber Matt, dass du uns mit diesem Buch zeigst wie kostbar wir doch sind.

Kritik? Die Frage ist, mit welcher Einstellung man an diesen Roman geht. Jemand der Unterhaltung sucht oder einen Roman zum ausheulen, ist hier vielleicht an der falschen Stelle. Auch für jemanden der einen Ratgeber braucht ist Haigs Handwerk einfach zu subtil. Dass dies kein literarisches Meisterwerk ist, ist auch ok, denn darauf legt es Haig ja auch einfach nicht an. Viele könnten sagen, dass sie den Sinn nicht verstanden haben und das ist auch ok. Ich glaube das Haig genau die anspricht und genau denen helfen kann, an die solch ein Roman gerichtet ist. Wenn du die „Mitternachtsbibliothek“ liest und nicht verstehst, dann bist du einfach keine Nora.

Eine Leseempfehlung muss ich nach dem langen Text wohl nicht mehr aussprechen. Dieser Roman ist wunderschön, subtil aber genau zwischen den Zeilen und manchmal auch darin, findet man genau das wonach man gesucht hat.

„Es ist eine Bibliothek der Möglichkeiten. Und der Tod ist das Gegenteil des Möglichen.“

„Traurigkeit [ist] untrennbar mit dem Glück verwoben“

„Das Leben beginnt auf der anderen Seite der Verzweiflung.“