"Mitternacht ist ein Ort"

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r.e.r. Avatar

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Nora Seed ist Ihres Lebens überdrüssig. Bisher war „jeder Schritt ein Fehler und jede Entscheidung ein Desaster“ und sie hatte sich „tagtäglich weiter von der Person entfernt, die sie einmal hatte werden wollen“. Einsam und verzweifelt beschließt sie zu sterben. Aber auch das geht schief und so landet Nora um Punkt Mitternacht in einer riesigen Bibliothek, wo sie „vor dem Tod bewahrt“ entscheiden muss, wie sie leben will.

Um das herausfinden, muss sie unterschiedliche Leben „anprobieren". Mit jedem Buch, dass sie in der Mitternachtsbibliothek auswählt, taucht sie in ein Leben ein, dass sie hätte führen können. Haig beschreibt das so unterhaltsam und mit so spielerischer Leichtigkeit, dass einem der Tiefgang erst nach und nach bewusst wird.

Nora probiert unzählige Lebensvarianten aus aber letztendlich lassen alle etwas zu wünschen übrig. Dabei bleibt es nicht aus, dass man sich die Fragen denen Nora sich gegenüber sieht, selber stellt: Was bereue ich? An welcher Stelle hätte ich gerne einen anderen Weg eingeschlagen? Und wohin hätte mich dieser geführt?

„Wir vergeuden zu viel Zeit damit, dass wir uns ein anderes Leben wünschen, wo es doch in fast jedem Leben gute und schlechte Zeiten gibt“. Weise Worte, die Haig seiner Heldin am Ende in den Mund legt. Der Roman regt ohnehin zum Nachdenken bzw. zum philosophieren an.

Am Ende dieser zauberhaften Geschichte kam mir der Song „Unwritten“ der englischen Singer Songwriterin Natasha Bedingfield aus dem Jahr 2004 in den Sinn. Darin heißt es: „Live your life with arms wide open. Today is where your book begins. The rest is still unwritten.“ Diese Songzeile beschreibt sehr gut das Ende von Matt Haigs „Mitternachtsbibliothek“ aber mehr noch, wie ich finde, die Quintessenz des Lebens.

P.S. Den Titel meiner Rezension habe ich mir von Joan Aikens gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1974 "ausgeliehen". Er passt einfach so gut, finde ich.