Amerikanische Geschichte, wie man sie nicht lesen will

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"Am Besuchstag erzählte er, es gehe ihm gut, er sei nur traurig, es sei nicht einfach, doch er gebe sich Mühe, obwohl er am liebsten gesagt hätte: Sieh nur was sie mir angetan haben, sieh nur, was sie mir angetan haben."

Elwood Curtis ist ein aufgeweckter junger Schwarzer, der im rückständigen Florida groß wird und von Gleichberechtigung, Freiheit und Freundlichkeit träumt. Er erhält die Möglichkeit, einige Kurse am College zu belegen - eine Novität in seiner Familie. Doch als er per Anhalter in einem geklauten Auto mitfährt und selbst des Autodiebstahls bezichtigt wird, endet sein bisheriges Leben abrupt - und die Hölle der Nickel-Besserungsanstalt beginnt.

Auch in seinem neuen Roman lässt sich Colson Whitehead von realen Ereignissen inspirieren, die vor einigen Jahren in Florida ans Licht kamen. Das Nickel ist eng angelehnt an die Dozier School of Boys, und die Erzählung rund um Elwood, Turner und die anderen Jungs fußt auf Zeugenberichten und Ausgrabungen. Brandheißes Material also, v.a. in Zeiten von erneut aufflammendem Rassismus und gewalttätigen Zuständen in den USA.

Doch leider erhält Whitehead von mir nur ein "ungenügend" - Thema verfehlt. Am Anfang investiert der Autor viel Energie in die Schilderung von Elwoods Leben vor dem Nickel, und genau diese detailreiche, eindrückliche Erzählung überzeugte mich davon, das Buch lesen zu wollen. Der Hauptteil des Roman spielt allerdings in der Besserungsanstalt Nickel, wo die Rassentrennung vollzogen wird wie sonst auch überall - und die schwarzen Jungs natürlich besonders viel zu leiden haben. Hauptsächlich begleitet man Elwood, aber auch Ausflüge zu Turner kommen vor. Irgendwann springt die Geschichte dann in Elwoods Zukunft nach dem Nickel - das waren die für mich langweiligsten und uninteressantesten Passagen, da sie die Geschichte im Nickel unschön durchbrachen und häufig für Verwirrung sorgten.

Die Erzählweise in der dritten Person sorgt dafür, dass die Distanz zu Elwood un Co. groß bleibt, ja eigentlich unüberbrückbar. Es gab nur zwei Stellen im Buch, die mich berührt haben - die oben zitierte, als Elwood Besuch von seiner geliebten Großmutter bekommt, und die nach dem Boxkampf, als der etwas minderbemittelte Kandidat der schwarzen Jungs weint, weil er weiß, was ihm nach seinem Sieg blüht. Ansonsten hat mich das Geschehen weder berührt noch sonderlich schockiert, denn irgendwie war ja von Anfang an klar, was man diesen Jungen dort antut. Das schriftstellerisch Großartige wäre dann der Einblick in die Psyche der Jungs gewesen - sonst kann ich auch einfach die Zeitungsberichte über die Dozier School lesen. Der Anti-Rassismus-Holzhammer samt So-erging-es-allen-Schwarzen-Keule können das in keinster Weise ersetzen und nerven nach dem zigsten Mal nur noch. Die Charaktere selbst waren so flach und uninspiriert, dass ich manchmal kaum die Namen auseinander halten konnte - nicht einmal die der beiden Protagonisten Elwood und Turner, geschweige denn die der Aufseher oder anderen, am Rande erwähnten Jungs.

Hinzu kommt der holprige, bemüht wirkende Schreibstil, der dem ganzen Geschehen eine unerträglich pathetische Note gibt und völlig sinnentleerte Sätze produziert, die nicht ins Hirn und schon gleich gar nicht ins Herz gehen. Kostprobe gefällig? "[...] all diese mühsam aufgebauten, heiß geliebten Animositäten spielten keine Rolle mehr, wenn man ein paar Stunden einen Stellvertreter-Ritus der Strapazen und der Qualen feierte." (S.169). Diesen Satz benutzt Whitehead zur Beschreibung der Stimmung bei einem Marathon in New York. Das liest sich wahnsinnig zäh, und ich hatte schnell keine Freude mehr an diesem aufgesetzt Literarischen.

Whitehead schafft es, dass mir ein knapp 200 Seiten kurzes Buch endlos erschien, durch eine Story, die immer weiter nachlässt, einen Schreibstil, der jeden Menschen mit literarischem Feingefühl quälen muss, und Charaktere, die weder im Kopf bleiben noch Gefühle vermitteln. Einen Punkt vergebe ich nur für den gelungenen Plottwist, der mich wirklich gepackt hat, und das generell spannende Thema. Die Holzhammer-Erzählweise sollte der Autor aber dringend nochmal überdenken. Leider ein ganz schöner Flop!