Enttäuschende Protagonisten

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marcello Avatar

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„Die Plantage“ spielt während des Unabhängigkeitskrieges in South Carolina. Die junge Antonia Lorimer kämpft nach dem Tod ihres Mannes um die Existenz ihrer Plantage und um das Leben des schwer verletzten William Marshall Spencer. Dieser stellt sich als britischer Offizier heraus und ist darüber hinaus auch der Mörder von Antonias Mann. Diese Begebenheit sorgt für einige Spannungen auf der Legacy-Plantage, da es seine Identität zu verheimlichen gilt, gleichzeitig aber schwört Colonel Spencer den Männern, die ihm seine Verletzungen zugefügt haben, Rache.
Von der Leseprobe von „Die Plantage“ war ich sehr begeistert. Man bekam einen Einblick in das Leben von Antonia Lorimer, die sich als selbstständige, kämpferische und intelligente Frau präsentierte. Antonia steht vor den Trümmern, die der Krieg hinterlassen hat. Ihr Mann ist tot und ihre Plantage steht kurz vor dem Ruin. Eines Nachts begegnet sie einem Pferd, auf dessen Rücken ein schwer verletzter Mann liegt. Trotz der Tatsache, dass er der britischen Armee angehört, kann sie ihn nicht einfach sterben lassen und pflegt ihn mit einer Indianerin und ihrem dunkelhäutigen Bruder gesund.
Diese Anfangsepisode mit einer starken Frauenfigur machte richtig Lust auf mehr, was letztlich auf über 800 Seiten bei rum kam, war dann eher eine Enttäuschung. Relativ schnell widmete sich die Erzählung William Spencer, der, nachdem er seine Verletzungen auskuriert hat, den Namen William Marshall (der Geburtsname seiner Mutter) annimmt, da er in South Carolina als brutaler Offizier bekannt ist. Selbstverständlich übernimmt er die Leitung der Plantage und übernimmt auch Antonia als seine Gefährtin. Dass die Geschichte irgendwann zwangsläufig auf eine Beziehung der beiden herausläuft, war anzunehmen, wie es letztlich realisiert wurde, war doch sehr enttäuschend. Vollkommen lieblos wurden die beiden zusammengeführt. Marshall, ganz Mann, nimmt sich einfach, was er begehrt und Antonia lässt das, beeindruckt von seiner Männlichkeit, einfach geschehen. Da war es also hin mit der selbständigen und kämpferischen Antonia. Ab da war sie nur noch schmückendes Beiwerk und auch als Marshall sie dann irgendwann verlässt, erlebt man dennoch nicht, wie sie um ihren Besitz kämpft. Dies überlasst sie ihrem Halbbruder Joshua und dem Bankier Andy Tyler. Sie selbst leidet einfach nur vor sich hin.
Aber auch mit William Marshall, dem, nachdem er Legacy verlassen hat, um in seine Heimat England zurück zu kehren, ein ganzer Teil gewidmet wird, wurde ich einfach nicht warm. Schon alleine, wie er in South Carolina alles in Besitz nimmt, einschließlich einer Frau, war mir zutiefst zuwider. Dann lässt er diese Frau schwanger sitzen, um gleich zurück in der Heimat eine Frau, mit der er vor dem Krieg eine Beziehung hatte, zu vergewaltigen. Da hilft es dann auch nicht sonderlich, wenn er zwischendurch um seinen Diener trauert, um den er aufopferungsvoll zuvor gekämpft hat. Insgesamt ist Marshall einfach viel zu egoistisch, viel zu sehr auf seine Ehre bedacht.
Mit Algernon Reed und Oliver Roscoe gibt es noch zwei Männer, die einige dunkle Wesenszüge vorzuweisen haben. Über diese beiden erfährt man, im Gegensatz zu Marshall, aber auch vieles aus der Vergangenheit, das die Begebenheiten nachvollziehbar macht. Roscoe wurde als Kind sexuell missbraucht und Reed leidet offensichtlich unter Schizophrenie, eine Krankheit, die im 18. Jahrhundert noch ziemlich unbekannt ist. Stattdessen wird die dunklere Hälfte als Zwilling oder Dämon bezeichnet. Gerade für Forscher dieser Zeit war es daher spannend diese Menschen wie Tiere in Käfige zu sperren und ihre Verhaltensweisen zu studieren. Obwohl die beiden natürlich keine liebenswerten Charaktere sind, habe ich mich dabei erwischt, mehr mit ihnen und ihrem Werdegang mitzufiebern, denn sie waren letztlich charakterlich detaillierter und stimmiger gezeichnet.
Mein Fazit von „Die Plantage“ ist also, dass die Leseprobe, die Erwartungen, die ich anschließend hatte, nicht erfüllen konnte. Der Plot entwickelt sich einfach in eine ganz andere Richtung, als man zunächst vermuten konnte. Am Schreibstil an sich ist überhaupt nichts auszusetzen, aber wenn man den Anfang so gestaltet, dass Antonia und William als das Hauptpaar präsentiert wird, dann sollte man das nicht so lieblos in den Sand setzen. Wenigstens war das Ende dann von der Autorin dazu stimmig gestaltet, alles andere wäre eine totale Farce gewesen.
Wer hier also eine Liebesgeschichte mit schönem und interessantem historischen Hintergrund erwartet, den muss ich enttäuschen. Im Endeffekt ist diese Geschichte gar nichts oder vielmehr von allem etwas. Wäre der Anfang auch nicht so gestaltet worden, dann wäre das auch ein ganz netter Roman mit vielen verschiedenen Charakteren geworden. So überwiegt also die Enttäuschung über nicht erfüllte Erwartungen. Ich vergebe 2,5 Sterne, aufgerundet also noch 3.