Südkoreanischer Thriller um ein Kartell des Tötens

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barbara62 Avatar

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Begeistert hat mich an diesem Buch zunächst das Äußere. Das Cover mit der ursprünglich aus Asien stammenden, bei uns für Tod und Trauer stehenden weißen Chrysantheme und den sich bis auf den Vorderschnitt ausdehnenden Blutspritzern sowie die roten Vorsatzblätter vorn und hinten sind äußerst gelungen. Die hybride Form zwischen Hardcover und Klappenbroschur mit dem stabilen Einband und der Papierklappe innen, jedoch ohne Schutzumschlag, ist in der aktuellen Diskussion um die Vermeidung von Plastikfolien eine interessante Variante. Das Buch liegt sehr angenehm in der Hand und zeigt nach der Lektüre keine Gebrauchsspuren.

Da ich nur selten Thriller lese und bisher noch kein Buch aus Korea kannte, war ich äußerst gespannt auf diesen südkoreanischen Bestseller von 2010. Auf eine gewisse Brutalität hatte mich das Covers vorbereitet, doch hat mich die Härte auf dem Seouler „Fleischmarkt“, dem „kapitalistischsten aller Märkte“, auf dem es nur ums Töten geht, dann doch überrascht. Raeseng, Findelkind und als Vierjähriger adoptiert von Old Raccoon, in dessen Bibliothek er aufwuchs, kennt nur diese Welt. Er tötet nicht um der Gerechtigkeit Willen oder aus persönlichen Motiven, sondern weil man es ihm befiehlt und ihn dafür bezahlt. Die Aufträge dazu kommen von den Plottern und „… jeder in diesem Land, der jemals auch nur über das kleinste bisschen Macht verfügt hat, steht in Verbindung zu einem Plotter“, sei es Regierung, Militär, Polizei oder Justiz. Sein Ziehvater Old Raccoon gibt die Aufträge in seiner Bibliothek an seine Auftragskiller weiter. Tracker spüren in diesem System die Opfer auf, Cleaner beseitigen Killer, die ihre Aufträge nicht anweisungsgemäß ausführen oder entbehrlich sind. Selbst für das spurlose Verschwinden der Ermordeten ist mit einem „Leichenbeseitigungsservice“ gesorgt.

Doch in der perfekt organisierten Welt der Plotter gärt es und Old Raccoons Position in der Branche wankt. Raeseng selbst steht mit 32 Jahren auf der Todesliste des Kartells, weil er bei einem Auftrag von den Vorgaben abgewichen ist, und muss sich seiner Verfolger erwehren.

Natürlich habe ich mich zwischendurch gefragt, ob ich ein solches Buch lesen möchte und worin die Faszination besteht. Wäre die Brutalität nur um ihrer selbst beschrieben, hätte ich es sicher schnell weggelegt. Doch hier ist es eindeutig der Protagonist, der das Buch so interessant macht. Er steht ganz unten in dieser verbrecherischen Hierarchie, von der man nur die nächsthöhere Stufe kennenlernt und nichts über die wahren Drahtzieher erfährt. Musste Raeseng, der keine Schule besuchen durfte, aber keinesfalls einfältig ist, der werden, der er ist, oder hatte er eine Wahl? Warum kehrt er in die Bibliothek zurück, als die Möglichkeit zu einem anderen Leben bestand, obwohl er keinerlei Befriedigung beim Töten empfindet und nie weiß, wann er zur Zielscheibe in dieser Hölle wird? Und wie schafft es der Autor Un-Su Kim, dass man nicht nur blanke Abscheu vor ihm empfindet? Mehr noch als in der Spannung liegen die Pluspunkte bei diesem ungewöhnlich literarischen Thriller für mich im Einblick in die Psyche eines zerstörten Menschen und in der ganz besonderen, sehr bildreichen, präzisen Sprache.