Wenn Sie sich mal beim Lesen langweilen wollen...

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wedma Avatar

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„Die Prinzessin von Arborio“ von Bettina Balàka ist mal als „eine etwas andere Liebesgeschichte“ zwischen dem Profiler und der Mörderin angepriesen, mal als „Liebesgeschichte mit Nervenkitzel“. Leider kann ich dies gar nicht nachvollziehen. Ich habe einen ganz anderen Eindruck von dem Roman gewonnen: Selten habe ich mich beim Lesen so gelangweilt.
Die ersten hundert Seiten vergingen recht schnell. Die Erwartung, dass aus dem o.g. Versprechen etwas wird, war noch da. Man lernt Elisabetta Zorzi kennen, ihre Familie. Der Vater gefiel mehr gut: so ein verschrobener Typ, aber eine spannende Persönlichkeit. Er war ein Schriftsteller und sogar ein halbwegs Bekannter. Seine Romane waren aber etwas speziell, sie hatten keine Helden. Meist war ihm seine kleine Tochter zu viel des Guten, aber manchmal, wenn er erfolgreiche Tage hatte, ging er mit ihr spazieren. „Er ging dann mit mir an den Strand und wir machten ganz normale Dinge. Schwimmen, Muscheln sammeln, Sandburgen bauen und so“, sagt Zorzi über ihn auf S. 57. Aber auch: „Ich glaube, dass das keine gute Arbeit für ihn war. Das Schreiben. Es kostete ihn zu viel Kraft. Er hatte zu wenig Freude daran.“ S. 59.
Jedenfalls, solange man über die Mörderin und über die Menschen in ihrer Umgebung etwas Neues erfuhr, ging es gut. Aber ab spätestens S. 105 fing ich an, mich zu langweilen.
Die Art der Stoffdarbietung hat bei mir keine Begeisterung auslösen können.
1. Die Fülle an Details über die Dinge, über die man bereits auf vorigen Seiten gelesen hat, muntert kaum auf. Jede Einzelheit in Zorzis Charakter, ihre Motive, alle Details in ihren Morden, samt Antworten auf die Fragen: warum, weshalb und warum nicht anders, wurden mit bemerkenswerter Ausführlichkeit einem vor die Füße gelegt.
2. Wiederholungen. Über die Morde wurde erst aus der Sicht von Zorzi berichtet, dann aus der Sicht des Ermittlerteams, insb. des Profilers Arnold Körber, und anschließend aus der Sicht der ehem. Freundin eines der Ermordeten. Ich hatte den Eindruck, man dreht sich immer wieder im Kreis und kommt gar nicht voran.
3. So etwas wie eine zielgerichtete Handlung ließ sich über weite Strecken auch nicht erkennen. Auch im zweiten Teil gab es eine Fülle an Informationen, z.B. wie es im Frauengefängnis zuging. Immer wieder wurde man mit noch mehr Details aus dem Gefängnisalltag zugeschüttet. Eine ausführliche Abhandlung zum Thema „prison groupies“ Frauen vs. Männer wird oben drauf serviert und belastet das Ganze zusätzlich. Und ich fragte mich aufs Neue, warum ich das alles wissen sollte.
4. Der Berichterstattungsstil, in dem das Buch zum größten Teil verfasst wurde, ödet auf Dauer an.
5. Die seltsame Wortfolge in konditionalen Sätzen und das ständige „die Türe“ statt die Tür, haben ihr Übriges getan. Auf S. 95, Zeile 15 von oben, da fehlt ein „n“ im Wort „helfen“, i.e. im Buch steht: „… dass man ihr ja eigentlich helfe wolle…“ Es ist keine direkte Rede. Es ist wieder mal ein Bericht.
Die so vollmundig angepriesene Liebesgeschichte entwickelt sich im letzten Viertel, vor dem Hintergrund von Zorzis Verhaftung, auf paar Seiten zum Schluss, und fällt eher flach und herzlich wenig romantisch aus.
Mit keiner der Figuren kann man sich identifizieren. Zorzi, die Mörderin, erfüllt diese Funktion nicht. Trotz der erschlagenden Menge an Informationen über sie und ihre Vorgeschichte, bleibt sie einem fern. Die Nebenfiguren aus dem Ermittlerteam reißen einen noch weniger mit.
Ich hatte insb. in der zweiten Hälfte den Eindruck, ich wäre in einem Sachbuch zu Mörderpsychologie gelandet, bei dem alle während der Recherche zusammengetragenen Materialien unbedingt inkludiert werden mussten.
Der Berichterstattungsstil in Kombination mit den ständigen Wiederholungen und der Fülle an Details brachte mich dazu, alle paar Seiten eine Pause einzulegen, und ich musste mich erstmal gründlich motivieren, das Buch wieder in die Hand zu nehmen.
Ja, die Ausführungen zu den Mordmotiven lassen tiefe Einblicke in die Psychologie der Mörderin zu. Auch etwas über die Arbeit eines Profilers erfährt man. Man sieht, dass all dem eine gründliche Recherche und gut geschulte Beobachtungsgabe zugrundeliegt. Die Sprache ist recht präzise und aussagekräftig.
Bloß so etwas wie „Unterhaltungsliteratur vom Feinsten. Bissig, spannend, klug und von bezwingender Leichtigkeit“, so Klappentext, habe ich hier leider nicht angetroffen. Im Gegenteil: Schon lange habe ich mich nicht mehr so gelangweilt. Spannende Unterhaltung geht anders.
Ich vergebe mit ganz viel Wohlwollen 3 Sterne.