Das Findelkind im Schnee

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Der historische Roman "Die Reise der Amy Snow" von Tracy Rees spielt im 19. Jahrhundert in England. Die Hauptperson heißt Amy Snow. Da sie ein Findelkind ist, hat ihr Name wohl eine symbolische Bedeutung, denn sie wurde von Aurelia Vennyway im Januar 1831 im Schnee gefunden:

"Vor ihr wand sich etwas Blaues, Haarloses im Schnee. Noch hielt der Zauber der alten Bäume sie in ihrem Bann und sie hatte Angst, das Geschöpf anzufassen. Aber dann brach ihre Neugier den Zauber und sie trat näher. Es war ein Menschenkind, ein winziges Baby. Sie löste eilig den Umhang und griff nach dem Säugling. Seine Haut war so kalt wie Erdbeersorbet." (Seite 8).

"Und mein eigenes, mein erstes bekanntes Bett, das aus Schnee war – eine jungfräuliche weiße Matratze, die meinen winzigen Kopf stützte, meine strampelnden Gliedmaßen umfing und mein armes Kinderfleisch so sehr abkühlte, dass ich blau bis auf die Knochen war. Es gab mir auch meinen Namen. Ich verdanke ihm jedoch nicht nur einen passenden Namen, sondern auch ein angemessenes Symbol meiner Identität. Mein Stand in dieser Gesellschaft, die wir unsere Welt nennen,leitet sich von dieser
kalten weißen Leere ab.Dieses weiche, glitzernde, wunderschöne Bett hätte ich nicht überlebt – was auch nicht beabsichtigt war, sehen wir den Tatsachen ruhig ins Auge –, wäre da nicht ein eigenwilliges Kind gewesen, das nur selten das tat, was ihm befohlen wurde. Dieses Kind war Aurelia Vennaway, einziger Spross von Sir Charles und Lady Celestina Vennaway, der vornehmsten Familie der Grafschaft." (Seite 17).

Ihr Überleben verdankt Amy Aurelia, denn diese nimmt sie mit zu sich und zieht sie auf und die beiden werden, auch wenn zwischen ihnen ein Altersunterschied und ein Standesunterschied ist, Freundinnen. Amy ist sich über ihre Rolle allerdings nie ganz im Klaren: "Was bin ich? Ein ehrbares Fräulein oder ein Gossenkind? Bedienstete, Schwester oder Freundin? Die Rolle, die ich in der Geschichte von Aurelia Vennaway spiele, ist mir selbst das größte Rätsel, zumal jetzt, da ich aufgerufen bin, sie zu Ende zu bringen." (Seite 15).
Aurelias Familie heißt diese Beziehung allerdings nicht gut.

Und so sind die anderen Familienmitglieder froh, als sie Amy nach Aurelias Tod endlich fortjagen können. Aurelia hat Amy allerdings etwas hinterlassen: Sie hat ihrer Freundin eine Schatzsuche vorbereitet, auf die sie sich einlassen soll.Sie möchte ihr damit eine Geschichte erzählen, ihre Geschichte, sie aber immer Stück für Stück enthüllen. Das Geld, das sie für diese Reise in ein neues Leben benötigt, hat sie ihr ebenfalls hinterlassen.

Zum Abschluss ihres ersten Briefes an Amy, schreibt sie: "Ich flehe Dich an, folge meiner Spur. Nicht nur, weil sie Dich weiter bringen wird, als Du Dir das vorstellen kannst,
sondern weil ich etwas unerledigt gelassen habe, das nur Du abschließen kannst." (Seite 34).

Amy entschließt sich, diese Reise zu machen. Und damit kann man sicher sein, dass sich Amys Leben verändern wird - wie, das weiß man allerdings nicht. Insofern ist die Leseprobe geschickt beendet worden, denn nach dem Lesen des Anfanges ist man nun neugierig, zu erfahren, wie es mit Amy weitergehen wird, was sie auf ihrer Reise erleben wird und worin das "Unerledigte", von dem Aurelia in ihrem Brief spricht, besteht. Vielleicht wird dabei auch das Rätsel von Amys Herkunft gelöst?

Der Roman mit seiner emotionalen, bildreichen Sprache und den interessanten Figuren lädt zu einer Zeitreise ein, die man als Leser/in gern begleiten möchte.