Brutaler Spiegel der 2000er

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In den frühen 2000ern aufgewachsen, lebt Jella in einer Welt, in der Frauen und Mädchen stark dem Male Gaze unterworfen und von spezifischen Schönheitsidealen geprägt sind. Auch Jella versucht sich dem anzupassen und möglichst attraktiv für Männer zu sein.

In "Die schönste Version" schildert Ruth-Maria Thomas Jellas Erfahrungen mit toxischen Beziehungen und Situationships, die von Man1pulation und M1ssbrauch geprägt sind. Besonders erschütternd ist ihre Beziehung zu Yannick, einem „Künstlertypen", der ihr von Anfang an seine Wahrheit überstülpt und ihr vorschreibt, wie sie zu sein hat. Als die Beziehung in G3walt eskaliert und Yannick Jella würgt, zeigt sie ihn an, stellt sich danach aber quälende Fragen. War dieser Weg richtig? Übertreibt sie? Oder trägt sie gar irgendwie selbst die Schuld?

Das Buch ist brutal, emotional herausfordernd, realistisch, wichtig. Die Sprache ist teilweise sehr vulgär, was mich an manchen Stellen etwas gestört hat. Etwas zu kurz gekommen ist für meinen Geschmack vielleicht Jellas Aufwachsen und Familiengeschichte, die Rolle ihrer Mutter. Das sind aber nur kleine Kritikpunkte, die den Impact der Geschichte für mich nicht schmälern.

„Die schönste Version“ wurde für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert und ich freue mich darüber. Ich kann den Hype auf Bookstagram nachvollziehen, denn die Geschichte bietet enorm viel Identifikationspotential für so viele Frauen, die in den 2000ern sozialisiert wurden. Das Selbstverständnis vieler Männer, die Misogynie der Medien, Übergriffe, für die es keinen Namen gab oder die verharmlost wurden und nicht zuletzt die gefühlte Normalität des Ganzen – das so geballt zu lesen und zu fühlen, lässt mich immer noch fassungslos den Kopf schütteln. Ich wünschte, ich hätte in meinen frühen Zwanzigern Zugang zu diesem Buch gehabt. Ein Buch, an das ich wahrscheinlich noch lange denken werde.