Reformpädagogik auf Juist

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Die Schule am Meer, die im Mittelpunkt von Sandra Lüpkes Roman steht, hat es auf Juist wirklich gegeben. Bei dem Buch handelt es sich um ein Herzensprojekt der auf Juist geborenen Autorin, die bei einem Besuch im Heimatmuseum dazu inspiriert wurde, auch weiteren Pädagogen der Schule neben dem meist ausschließlich erwähnten charismatischen ehemaligen Schulleiter Martin Luserke nachträglich eine Stimme zu verleihen. Dazu recherchierte sie sehr gründlich und vieles im Roman basiert auf historischen Tatsachen, wenngleich auch manche Person oder manches Ereignis dazu erfunden werden musste.

Bei der Schule handelt es sich um eine so genannte Reformschule, die Pädagogen arbeiteten mit, besonders für die damalige Zeit (die Schule existierte von 1925 - 1934) ungewöhnlichen Methoden. Dabei standen praktische Erfahrungen, wie durch das Anlegen von Gärten, das Halten von Tieren, Musik und Theaterspiel im Mittelpunkt. Außerdem segelte man auf der Nordsee und zwischen Mai und Oktober zählten morgendliche Bäder in der kalten Nordsee zum Pflichtprogramm. Lehrer und Schüler lebten in einer familienähnlichen Gemeinschaft eng zusammen. Die Bewohner der kleinen Nordseeinsel standen dem Ganzen oft mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber.

Zu der Gruppe der Pädagogen, die (fast) von der Gründung an dabei waren, zählen neben Luserke das Ehepaar Anni und Paul Reiner und der Musikpädagoge Eduard Zuckmayer, Bruder des berühmten Dramatikers. Sie bauen die Schule mit viel Herzblut unter teils widrigen Umständen (Wetterkapriolen, Geldknappheit, ungünstige Bedingungen für den Gemüseanbau, Krankheiten, Vorbehalte der Inselbewohner, usw.) auf und genießen für ihren Einsatz und ihre Leidenschaft den Respekt ihrer Schüler, von denen auch einige Probleme mit ins Internat gebracht haben. Anni entstammt einer wohlhabenden jüdischen Familie und kann die Schule so immer wieder unterstützen, zugleich wird ihre jüdische Herkunft mit dem, auch auf der kleinen ostfriesischen Insel aufkommenden, Nationalsozialismus auch immer mehr zum Problem für sie und ihre Familie.

Der Roman spricht so verschiedenste Aspekte an. Einerseits bot er einen, nicht nur für mich als Lehrerin, sehr interessanten Einblick in die Anfänge der Reformpädagogik in Deutschland. Zudem spielen natürlich auch Freundschaft und Zusammenhalt eine wichtige Rolle, sowohl unter den Schülern als auch unter den Lehrern. Eine weitere, nicht unwichtige Komponente ist die Paarbeziehung und das Familienleben von Anni und Paul Reiner, durch das Zusammenleben in der großen Gemeinschaft und den unbedingten Einsatz für die Schule gestaltet sich dies nicht immer einfach. Auch die Insel Juist und das nicht ganz einfache Leben dort, auf dieser abgelegenen Insel, spielt eine wichtige Rolle. Man kann sich die schöne, aber auch oft raue Umgebung sehr gut vorstellen. Und nicht zuletzt sind das Aufkommen des Nationalsozialismus, die hinterhältigen Methoden, mit denen die Nationalsozialisten arbeiteten und der Antisemitismus und in diesem Zusammenhang auch Verrat große und wichtige Themen in diesem Roman.

Sandra Lüpkes hat sowohl die historischen als auch die erfundenen Charaktere sehr anschaulich und überzeugend ausgestaltet. Durch die verschiedenen Erzählperspektiven kann man sich gut in die einzelnen Personen hineinversetzen. Der Schreibstil der Autorin ist gut nachvollziehbar, die Handlung ist fesselnd und den Leser erwartet eine spannende Reise in eine andere Zeit. Ich empfehle das Buch daher sehr gerne weiter.