Träume muss man leben

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elke seifried Avatar

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»Was ist, wenn sie ihren Kopf mit all dem unnützen Zeug vollstopft und niemand mehr auch nur einen Blick auf sie werfen mag? Es ist ja ohnehin nicht so, dass sie sich kaum noch vor Verehrern retten kann. Neunzehn ist sie, und weit und breit kein Mann in Sicht!« macht sich ihre Mutter große Sorgen. Denn während Emma heimlich fleißig lernt und von einem Jura-Studium träumt, wünschen sich ihre Eltern nichts mehr, als dass sie bald eine gute Ehefrau und Mutter abgibt. Die Lösung scheint gefunden, da sie eine Ehe mit Carl Seidel, dem Erben eines gutsituierten Fuhrunternehmers arrangieren können, damit wäre auch die Familie zukünftig abgesichert. Die Überraschung bei der wenig von dieser Idee begeisterten Emma ist groß, als sie beim ersten geplanten Aufeinandertreffen feststellt, dass es sich bei Carl um den Mann handelt, der sie bei einer zufälligen Begegnung wenige Tage zuvor zum Lachen gebracht und der sogar erkannt hat, »Glauben Sie mir, einen großen, starken Mann brauchen Sie nicht.« Die beiden fühlen sich schnell zueinander hingezogen, doch statt das Familienerbe anzutreten, träumt Carl von seiner eigenen Senffabrik. Emma, die erkennt, wofür sein Herz schlägt, bekräftigt ihn, auch gegen den Willen der Familie für seine Pläne zu kämpfen.

Als Leser lernt man Emma, ihre Träume vom Studium und ihren Kampf, den sie damit mit ihren Eltern ausfechten muss, kennen, ist dabei, wie sich Carl und sie kennenlernen, einander annähern und der Plan für die Senffabrik immer mehr zu ihrer beiden wird. Ebenfalls ist man an Emmas Seite, wenn gilt, dass er sich in Djon das nötige Wissen aneignen muss und erlebt mit ihr eine schwere Zeit, denn „Er musste gehen, das war ihr klar, und sie musste ihn gehen lassen. Nur hatte sie nicht gewusst, wie schwer es war, auf jemanden zu warten. Wie weh es tat, allein zu sein.“, ist dabei nur eines der Probleme, die sie hat. Was die Zukunft für die beiden noch im ersten Teil bereit hält, will ich aber gar nicht mehr verraten. Nur so viel vielleicht noch, auch Carls bester Freund Antoine, der bei Emma seltsames Kribbeln verursacht, macht alles komplizierter und auch ihre Eltern suchen weiter nach einem anderen passenden Mann für sie.

Die Autorin nimmt einen mit vor Ort, lässt einen ins Elsass-Lothringen zu Beginn des 20. Jahrhunderts reisen und einen die Atmosphäre in Metz zu dieser Zeit miterleben. Geschichtliches Backgroundwissen wie, „Ähnlich wie sie kamen unzählige altdeutsche Bürger, wie sie sich voller Stolz bezeichneten, ins Reichsland und hatten einheimische Beamte in der Verwaltung, Justiz, bei der Eisenbahn und Post ersetzt – natürlich blieben auch Schullehrer nicht davon verschont. Und nun schämte sich Emma dafür, dass ihr nie wirklich bewusst gewesen war, wie viele Lothringer den neu Zugezogenen Platz machten mussten,..“ und auch detailreiche Beschreibungen der Stadt „Der schöne Sommerabend, der das Stadtzentrum von Metz mit Wärme, Sonnenschein und Vogelsang beschenkte, bewirkte in den engen Gassen eine stickige Schwüle. Mülleimer quollen über und erfüllten die Luft mit dem Dunst des Unrates. Noch nie war Emma so bewusst gewesen, wie viel Elend es in Metz gab, das sie nie zu Gesicht bekam.“, versetzen einen dabei direkt vor Ort. Richtig gelungen herausgearbeitet ist auch die Rolle der Frau zu der Zeit, denn Emma steht in ihrem Kampf darum, nicht nur als Ehefrau von ihren Eltern verschachert zu werden, sondern zu studieren, mitreden zu dürfen und ihren Hoffnungen bei Zeitungszeilen, wie „Das Reichsland Elsass-Lothringen und Preußen lassen als letzte Länder Frauen zum Studium zu. Emma musste sich zügeln, um beim Gehen nicht zu sehr vor Freude zu wippen.“ noch sehr alleine auf breiter Front, finden sich doch noch viel zu viele Gegenstimmen wie »Studieren macht hässlich.« »Unweiblich mit Sicherheit.«

Die Autorin hatte mich mit ihrem einnehmend, empathisch und lockeren Erzählstil sofort in ihren Fängen. Sympathische Hauptprotagonisten, lebendige, farbenprächtige Szenen, eine komplizierte Liebesgeschichte und eine spannende Story rund um die Gründung der Senffabrik, die zum Mitfiebern einladen, hier stimmt die Mischung einfach. Ich habe diesen Roman so richtig mitgelebt, war gerührt über die zart zu spürende Zuneigung, war entsetzt darüber, was in den Familien geschieht, wenn der Wille der Kinder nicht dem der Eltern entspricht, oft tief betroffen, wenn Emma und Carl immer wieder Rückschläge einstecken müssen und habe mir immer mehr gewünscht, dass die Senffabrik bald Wahrheit wird. Ganz oft hat mich die Autorin auch zum Schmunzeln gebracht. Formulierungen wie, „Vielleicht sollte sie Theologie studieren. Um den Glauben zu stärken, dass kleine Sünden vergeben und vergessen werden konnten. Nur garantiert nicht von ihrer Mutter.“., oder „Einen Wink mit dem Zaunpfahl verstand der Kerl nicht. Antoine Dupont brauchte wohl den ganzen Zaun,“ oder auch Szenen, wie wenn sie sich mit Carl die Besorgungen auf der Einkaufsliste der Mutter aufteilt, um gemeinsame Zeit zu schinden, diese unbesehen einfach in zwei Teile zerreißt und Carl dann erst noch einmal nachfragen muss, ob er wirklich »weiße Damenpumphosen – Klammer auf – mit Spitze an den Beinenden und lila Bändern – Klammer zu – bei Frau Rode abholen sollte?«- Auch solch pointierte Dialoge, wie »Auf der Eisbahn, da hätte ich schwören können, bestimmte Schwingungen zwischen Ihnen und Carl wahrgenommen zu haben.« »Ihre Wahrnehmung scheint etwas eingerostet zu sein. Eine Wartung wäre angebracht, sonst bilden Sie sich noch ein, ich würde Sie sympathisch finden.«, für die Emma mit ihrer erfrischend, schlagfertigen Art immer wieder sorgt, bereiten großes Vergnügen beim Lesen.

Sofort hatte mich die Autorin auch mit ihren einnehmenden Charakteren, die alle liebevoll und individuell erdacht, authentisch gezeichnet und mit glaubwürdigen Ecken und Kanten ausgestattet sind. Besonders die selbstbewusste Emma, die sich hier ihren Weg hart erkämpfen muss und dabei hin und wieder kein Blatt vor den Mund nimmt und auch nicht um eine schlagfertige Antwort verlegen ist, konnte mich sofort für sich einnehmen und Carl, der bodenständige, grundanständige Mann stand dem nicht viel nach. Ich habe schnell mit beiden um die Verwirklichung ihrer Träume gefiebert und auch darum, dass ihnen eine gemeinsame Zukunft möglich sein wird. Antoine, der sehr geheimnisvoll gezeichnet ist, hat es mir schwer gemacht, ihn sympathisch zu finden, vielleicht auch, weil er so zwischen die beiden grätscht. Er hat wie die beiden aber auch ein Päckchen zu tragen, das nicht zu verachten ist. Aber auch alle anderen Nebendarsteller sind einfach richtig gelungen gezeichnet, bei Buchhändler Émile Perrin mit seiner Katze, den ich sofort ins Herz geschlossen habe und der so oft den richtigen Rat weiß, über die naseweise Nachbarin Rosenberger, an der kein Tratsch und keine Neuigkeit vorbeigeht, bis hin zu Henri Wolff, dem von ihren Eltern neu arrangierten Heiratskandidaten mit dem Geheimnis, das ihn zu einer Art Verbündeten Emmas macht.

Alles in allem ein super vielversprechender Auftakt zur Senfblütensaga, der mich jetzt schon auf die nächsten Teile der Trilogie hinfiebern lässt. Dafür vergebe ich gerne fünf Sterne.