Ein wahnsinnig lebensechtes Porträt

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"The Seven Husbands of Evelyn Hugo" lag bei mir viel zu lange auf meinem SuB und durfte mich deshalb endlich über die Weihnachtsfeiertage als Buddyread mit Sofia von @sofiasworldofbooks begleiten (an dieser Stelle mal wieder ein Shoutout an meine liebste Buddyreadpartnerin!). Meine Erwartungen an das Buch waren aufgrund der vielen begeisterten Rezensionen durchaus hoch, die Geschichte konnte ihnen aber mit Leichtigkeit mehr als gerecht werden und hat mir auf den letzten Meter noch ein unerwartetes, aber deshalb umso intensiveres Jahreshighlight beschert! Einfach wow!

Zunächst wie immer einige Worte zur Gestaltung. Ich habe die englische Originalausgabe gelesen, deren Titel und Cover zwar nicht unbedingt als schön zu bezeichnen sind, aber passender nicht sein könnten. Zu sehen ist die abgeschnittene Form einer blonden Frau in einem smaragdgrünen Abendkleid, Perlenkette und rotem Lippenstift, die vor dem dunkelroten Hintergrund eines Strandhauses posiert. Damit entspricht sie genau dem Bild, das ich von Evelyn Hugo während dem Lesen kultiviert habe und vermittelt einen Eindruck von Glamour und Geheimnissen - eben genau des Mottos, nachdem Evelyn lebt:

“Never let anyone make you feel ordinary.”

Schon nach wenigen Seiten hatte die Geschichte mich am Haken und ich wusste: das wird richtig, richtig gut! Ich finde es sehr schwer, mich zu entscheiden, wo ich bei diesem Meisterwerk überhaupt anfangen will, denke aber, man muss zunächst die interessante Erzählweise kennen, um die besondere Wirkung des Buches zu verstehen. Die Autorin breitet hier so lebensecht die Lebensgeschichte einer Hollywood-Ikone von Anfang bis Ende aus, dass es sich ohne Weiteres um eine echte Biografie handeln könnte. Dazu nutzt sie zwei Zeitebenen und verschiedene Erzählperspektiven. Zunächst lernen wir die junge Journalistin Monique kennen, die das überraschende Angebot erhält, die Memoiren von Schauspiel-Legende Evelyn Hugo zu schreiben. Zwischen kurzen Abschnitten in der Gegenwart, in denen eine betagte Evelyn Monique ihre Lebensgeschichte erzählt, ist eben jene Biografie aus der Ich-Perspektive von Evelyn eingeschoben. Beginnend mit dem Tod ihrer Mutter und dem Kennenlernen ihres ersten Ehemanns in 1954 verfolgen wir aufgeteilt in sieben Teile, die jeweils nach ihren Ehemännern benannt sind, Evelyns Aufstieg vom armen Hells Kitchen bis in den höchsten Ränge Hollywoods. Zusätzlich zu den zwei Zeitebenen und Erzählperspektiven, sind auch in regelmäßigen Abständen Zeitungsauschnitte beigefügt, die jeweils die Sicht der Öffentlichkeit auf die Geschehnisse widerspiegeln.

“Evelyn looks at me with purpose. "Do you understand what I'm telling you? When you're given an opportunity to change your life, be ready to do whatever it takes to make it happen. The world doesn't give things, you take things. If you learn one thing from me, it should probably be that.”

Durch diese beigefügten Artikel und Moniques Außensicht auf Evelyn sehen wir in ihr zunächst, was die ganze Welt sieht: eine überlebensgroße Ikone mit einem bewegten Leben, sieben Ehemännern und großem Talent. Zusammen mit Evelyn dann in die Tiefe zu gehen und herauszufinden, was wirklich hinter den sieben Ehen und ihrem großen Erfolg gesteckt hat, fühlt sich dadurch sehr intim an. Ihr Leben aus ihrer eigenen Sicht nachzuerleben ist ein schockierendes, skandalöses, beeindruckendes und immer wieder überraschendes Leseerlebnis. Denn trotz dass wir durch die Zeitungsartikel und Monqiues Recherchen in groben Zügen wissen, wie Evelyns Leben verlaufen wird, kann man nicht anders als sich kopfüber in die Geschichte zu stürzen und gebannt an jedem Wort zu hängen. Das liegt vor allem an den beiden großen Leitfragen, die sich als Spannungsgeber durch die Geschichte ziehen: Wer war Evelyn Hugos große Liebe? Und: Wie sind die Leben von Monique und Evelyn verbunden, sodass die Hollywood Größe ausgerechnet die unbekannte Journalistin dazu auserkoren hat, ihre Geschichte zu erzählen?

“People think that intimacy is about sex. But intimacy is about truth. When you realize you can tell someone your truth, when you can show yourself to them, when you stand in front of them bare and their response is 'you're safe with me'- that's intimacy.”

Auch der mitreißende Schreibstil der Autorin sorgt dafür, dass die Geschichte eine Dynamik entwickelt, der man sich nicht entziehen kann. Taylor Jenkins Reid entführt hier in das Old Hollywood der 50er Jahre und zeichnet ein Bild von Licht und Schatten. Bald wird klar, dass hier weniger die Kunst des Filmemachens im Vordergrund steht und mehr Intrigen, Machtkämpfe, Korruption, Skandale, Zufall, Glück, die Meinung der Presse und gute Beziehungen festlegen, wer Erfolg hat und wer nicht. Es geht um Opfer, Hass, Gewalt, Sucht und den schönen Schein, jedoch auch um Talent, Inspiration, Hilfe, Freundschaft und Liebe. Ich bin beim Lesen geradezu durch die Seiten gerauscht und habe immer wieder Bewunderung für Taylor Jenkins Reid verspürt, gleichzeitig ist jedoch schwer festzumachen, was ihren Schreibstil eigentlich überhaupt ausmacht, da er für mich stark mit Evelyn als erzählender Figur verschmolzen ist. Ich habe zeitweise komplett vergessen, dass hier Taylor Jenkins Reid eine fiktive Geschichte schreibt und nicht Evelyn Hugo tatsächlich von ihrem Leben erzählt. Und das ist wohl alles, was ich des Lobes über ihren Schreibstil sagen muss.

“You do not know how fast you have been running, how hard you have been working, how truly exhausted you are, until somewhat stands behind you and says, “It’s OK, you can fall down now. I’ll catch you.”

Damit wären wir auch schon beim großen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte angekommen: Die Hauptfigur. Evelyn Hugo - Der beeindruckendste und vielschichtigste Mensch, der mir zwischen zwei Buchdeckeln jemals begegnet ist und der so lebensnah erschien, dass ich mich beim Lesen mehrmals davon abhalten musste, sie zu googeln. Zu sehen, wie sich diese starke Frau mit enormem Talent, großen Ambitionen und dem Willen, für ihren Traum alles zu opfern, in einer männerdominierten, eiskalten Welt bis ganz nach oben durchschlägt, hat mich zu gleichen Teilen stolz gemacht und mein Herz gebrochen. Sie ist eine moderne Frau in einer sexistischen Welt, die für ihre Fortschrittlichkeit noch nicht bereit war und sie auf das heruntergebrochen hat, was auf den ersten Blick ersichtlich war: ihre Schönheit, ihre Sexualität, ihre sieben Ehemänner. Wir bekommen allerdings einen Blick hinter die Kulissen der großen Ikone und sehen sie als Freundin, als Mutter, als Ehefrau und als Geliebte, sehen sie mit ihren Schwächen, ihren Fehlern, ihrer Menschlichkeit und bewundern sie für ihre Einstellung, sich nicht kleinreden zu lassen und selbstbestimmt zu entscheiden, wer sie sein möchte. Dadurch entsteht beim Lesen eine große Nähe zu ihr, auch wenn man sie als Figur nicht zu jedem Zeitpunkt sympathisch finden kann, und es geht nicht anders, als ihre Entwicklung über die Jahre hinweg mit Spannung zu verfolgen.

“It’s always been fascinating to me how things can be simultaneously true and false, how people can be good and bad all in one, how someone can love you in a way that is beautifully selfless while serving themselves ruthlessly.”

Besonders spannend ist, dass sie mit der Zeit nicht nur klarer sieht, was sie eigentlich möchte und langsam zu ihren Wurzeln zurückfindet, sondern auch durch ihre Erfahrungen eine aufmerksamere Beobachterin wird. Das schlägt sich auch in der Erzählperspektive wieder. Ihre eigenen Gefühle und Gedanken werden immer reflektierter und auch die Ambivalenz der Menschen um sie herum immer eindeutiger, sodass man mehrmals seine Meinung über sie ändern muss. Sowohl während ihrer Geschichte als auch rückblickend, als alle Geheimnisse aufgedeckt und alle schmerzhaften Fakten auf dem Tisch liegen, kann man Evelyn für ihre Handlungen und Entscheidungen weder ausschließlich bewundern noch klar verurteilen. Monique fasst diese Komplexität am Ende sehr treffend zusammen: "There´s Evelyn Hugo for you. Somewhere in the middle."

“No one is just a victim or a victor. Everyone is somewhere in between. People who go around casting themselves as one or the other are not only kidding themselves, but they’re also painfully unoriginal.”

Auch die Nebenfiguren sind so greifbar und lebendig dargestellt, dass man sich beim Lesen sicher ist, dass es sie gegeben haben muss. Egal ob die sieben Ehemänner, Evelyns Freundin Celia, ihre Tochter Connor oder die vielen Wegbegleiter, die eher kleinere Rollen spielen - alle sind nuanciert mit vielen Grautönen dargestellt, sodass man sie alle gleichermaßen lieben und verachten muss. Mein absoluter Lieblingscharakter war dabei der Filmproduzent Harry Cameron. Über die Gründe für meine Bewunderung für ihn sowie meine Meinung zu weiteren Nebenfiguren kann ich hier allerdings leider nicht viel schreiben, da es zu viel spoilern würde. Lasst Euch allerdings gesagt sein, dass nichts ist, wie es scheint und auch ehemals verhasste Figuren nochmal ein überraschendes Comeback haben können...

“Isn't it awfully convenient,” Harry added, “that when men make the rules, the one thing that's looked down on the most is the one thing that would bear them the greatest threat? Imagine if every single woman on the planet wanted something in exchange when she gave up her body. You'd all be ruling the place. An armed populace. Only men like me would stand a chance against you. And that's the last thing those assholes want, a world run by people like you and me.”

Monique, die die Geschichte in der Gegenwart erzählt, bleibt neben der ausführlich aufgerollten Lebensgeschichte von Evelyn eher im Hintergrund, wenn auch dadurch nicht blass. Besonders zu sehen, wie die Begegnung mit Evelyn ihr eigenes Leben und ihre Entscheidungen beeinflusst, in dem sie die vielen kleinen Lebensweisheiten berücksichtigt, die Evelyn mal ganz klar ausspricht, mal mit großen Fußspuren vorlebt, ist sehr interessant und herzerwärmend. Die große Wendung am Ende, die die Verbindung zwischen den beiden Frauen enthüllt, kam für mich allerdings nicht zu 100% überraschend, als vorhersehbar würde ich sie aber definitiv nicht bezeichnen. Eher dass Taylor Jenkins Reid durch viele versteckte Hinweise eine Art Bauchgefühl bei uns LeserInnen etabliert, das uns dann auf die richtige Fährte führt.

“When you dig just the tiniest bit beneath the surface, everyone's love life is original and interesting and nuanced and defies any easy definition.”

Generell ist es bezeichnend, dass man trotz des enormen Foreshadowings immer wieder von der Geschichte überrascht wird und auch das Ende einschlägt wie eine Bombe. Zwar weiß man durch die Vorausgriffe der Zeitungsartikel, was in etwa passieren wird und dass Evelyn am Ende ihres Lebens alleine dastehen wird. Auf den absoluten Herzschmerz der letzten 100 Seiten kann dieses Wissen einen aber dennoch nicht vorbereiten. Nach dieser emotionalen Reise durch Evelyns Leben zuzusehen, wie sie nacheinander alle Menschen verliert, die ihr jemals am Herzen lagen, ist einfach nur herzzerreißend und ich gebe gerne zu, dass ich beim Lesen des Endes geweint habe. Und zwar die kompletten letzten 50 Seiten! Als kleine Kostprobe kommt zum Abschluss meiner Rezension das Zitat, das mich am allermeisten zerstört hat:

“But if you have to go, then go. Go if it hurts. Go if it's time. Just go knowing you were loved, that I will never forget you, that you will live in everything Connor and I do. Go knowing I love you purely, Harry, that you were an amazing father. Go knowing I told you all my secrets. Because you were my best friend.”


Fazit:

Unterm Strich ist "The Seven Husbands of Evelyn Hugo" also ein wahnsinnig lebensechtes Porträt einer starken Frau, das von Beginn an durch eine unglaublich interessante Dynamik und intensive Nähe zu den Figuren mitreißt und beim Lesen die gesamte Palette an verfügbaren Emotionen ausgelöst hat. Ich bin tief beeindruckt von dieser Geschichte über Identität, Sexualität, Beziehungen und wahre Größe und werde sie definitiv noch lange in Erinnerung behalten.