Wer ist Lulu wirklich"

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holzfrieden Avatar

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Peter Nichols erzählt eine Familiengeschichte, die es in sich hat. Anfangs ist man als Leser echt überfordert von den verqueren Zusammenhängen. Wer gehört hier zu wem, liegt mit wem im Streit, kann sich nicht leiden? Aber je länger man liest, desto klarer wird alles. Man ist geradezu gefangen von der Handlung und dem Erzählstil Nichols'. Das Buch beginnt mit dem Tod von Lulu und Gerald, beide sind alt und stürzen auf tragische Weise in den Tod. Am Rande wird erwähnt, dass sie vor langer Zeit einmal kurz miteinander verheiratet waren. Der Ort ihres Todes scheint eine wichtige Rolle in Bezug auf den Ausgangspunkt der Geschichte zu spielen. Der Leser ist gespannt, was es damit auf sich hat, muss sich aber gedulden. Die Familien von Lulu und Gerald sind über Generationen miteinander verbunden, mal sehr direkt, mal über Umwege.
Nichols erzählt seine Geschichte von der Zukunft ausgehend in die Vergangenheit, das hat man schon oft gelesen und könnte denken: Naja, ganz nett. Aber weit gefehlt. Der Spannungsbogen steigt und man versteht die Protagonisten immer besser. Dabei gelingt es dem Autor, dass man für niemanden Partei ergreift, sondern jeden mit seinen Ecken und Kanten sympathisch findet. Ok: einige Ausnahmen gibt es. Ich mag dieses Buch manchmal gar nicht weiterlesen, weil ich nicht möchte, dass es zu Ende geht.
Dieses Buch ist auch eine Hommage an Mallorca, ein Mallorca, wie es nur Einheimische oder sehr lange dort lebende Einwanderer kennen. Durch die rückwärts gewandte Erzählweise wird sehr deutlich, wie sich die Insel durch Tourismus und Bebauung verändert hat.
Folgendes Zitat gibt einen kleinen Hinweis darauf, dass hier auch eine (tragische)Liebesgeschichte erzählt wird:
"Zweiundzwanzig Jahre schmolzen in sich zusammen. Gerald sah sich selbst dort unten stehen. Sah einen am Boden zerstörten, aus ihrer Gegenwart verbannten Bittsteller, der so unendlich viel sagen wollte und gleichzeitig wusste, wie unmöglich das war. Ein Bittsteller, der vor einem nicht eingeweihten und möglicherweise sogar feindlich gestimmtem Türhüter stand und diesem nicht einmal die allerkleinste Essenz dessen vermitteln konnte, was er sagen wollte. Er hatte geradezu schmerzliches Mitleid mit dem Jungen, doch es fiel ihm nichts ein, womit er ihn hätte trösten können."(S. 310f.)

Dieses Buch ist großartig!!!