Super Milieuschilderungen eines Kenners

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amicorno Avatar

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"Die Stille der Lärchen" ist ein im besten Sinne des Wortes " Heimatkrimi", der wegen seiner Figuren, wegen der Landschaft und aus vielerlei Gründen mehr nach einer Verfilmung geradezu schreit! Plastische Schilderungen etwa des Interieurs vom Bachlechner-Hof, des Schranks der Ermordeten, des Zustands ihres Vaters liest man nicht nur, sondern hat alles direkt vor Augen. Die Gerüche auf dem Hof etwa werden so beschrieben, dass man den Speck zu riechen glaubt und das Holz der Stube direkt vor sich sieht; das anfängliche Bild der Schneedecke, die "noch" über dem Fall liegt, zeigt die Unklarheit sowohl für den Kommissar als auch für den Leser, der von Beginn an seinen eigenen Vermutungen und Spuren nachgehen kann, sofern er das möchte.
Langsam entwickelt sich vor dem inneren Auge des Lesers ein Bild des ermordeten Mädchens. Die Sätze über sie sind karg, holzschnittartig, kurz: sicherlich versucht der Autor Lenz Koppelstätter hier, die Mentalität der Ursentalbewohner zu treffen - und die knappen Sätze charakterisieren überdeutlich das Leben dort.
Der Mahler hörende Commissario Grauner, den in einem früheren Film vielleicht Heinz Rühmann hätte verkörpern können, bewegt sich zurückhaltend durch die Szenerie, während sein Kollege, der Süditalienerin Saltapepe mitunter etwas zu impulsiv auftritt (siehe auch die Namensgebung!!! - köstlich das Wortspiel beim eitlen Staatsanwalt "Belli", bei dem einem unwillkürlich ein gewisser Staranwälte mit ähnlichem Namen einfällt...).
Lärchen als Pforten zur Hölle, das tote Mädchen als Verkörperung unschuldiger Schönheit, ein verdächtiger Jugendlicher, an dessen Unschuld kein Dorfbewohner glaubt....

Zwischendurch-Schilderungen z.B. Von Meran und Bozen sind mitunter klischeehaft "Bozen zeigte schöne Gesichter und hässliche Fratzen", Meran sei "wie aus dem Bilderbuch - durch und durch", was in der heutigen Zeit wohl zu hinterfragen wäre - obwohl auch hier die Milieuschilderungen gut beobachtet sind... und z.B. auch die Rucksacktouristen in ihrer Funktionskleidung ihr Fett weg kriegen.

Sensible Momente wie das Rehkitz, das urplötzlich vor Grauners Auto steht und in ihm ( später noch stärker Thema!) Urängste auslöst, wechseln sich ab mit sprachlich kurz angebundenen Landschafts- und Umgebungsschilderungen.

Parallel zur Vorliebe des von den Dorfbewohnern verdächtigten Micha hat auch die Tochter des Commissario Grauner eine Vorliebe für die regionale In-Band. "Warriors of destruction", auch er hat mit seiner pubertierenden Tochter zu kämpfen. So hat jeder sein Päckchen zu tragen.

Zur Milieuschilderung gehört, dass "Zugezogene" wie der Archtitekt Benedikt Haller von vorneherein verdächtig sind und der plötzliche Herzrod des Ex-Bürgermeisters vom neuen Bürgermeister mit Stress begründet wird.

Welche Rolle der Pfarrer spielt, auf den das Dorf hört? Auch hier werden die Handlungsstränge immer wieder unterbrochen...

Brieffetzen tauchen auf, die die Gedanken des Lesers und natürlich auch Grauners in verschiedene Richtungen antreiben. Sehr spannend, wie man quasi mitgenommen wird in die Ermittlungen!
Ob die Bezüge zu Thomas Mann etwas zuviel des Guten sind oder ob hier der Ideengaul mit dem Autor durchgeht? Spannend und originell bleibt dieser Erzählstrang bis zum Schluss, dessen Auflösung sich lange hinauszögert.