glaubwürdiger Thrill

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edda Avatar

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Isolde Sammer - Die Stille nach dem Schrei

Eigentlich haben wir lieber einen unschuldig Verurteilten - einen nach abgesessener Strafe gestählten Helden. Nicht so bei Irene Sammers Debüt : Die Stille nach dem Schrei.

Hier wird ein junger Mann nach brutalem Mord scheinbar zu Unrecht freigelassen, so glaubt zumindest seine Stiefmutter. Und auch wir, die Leser haben so unsere Zweifel. Auf 400 Seiten werden wir mithilfe verschiedener Ich-Perspektiven durch deren Bewußtseinsinhalte raffiniert zum Höhepunkt gelenkt. Es ist dann die Stille nach dem Schrei, die das Bewußtsein verändert und zum entscheidenden finalen Handeln veranlasst.

Was macht einen Psychothriller aus: Die Qual des Protagonisten, der Angehörigen, der Mitspieler. Isolde Sammer bringt es fertig durch die spannenden Perspektiven der Mitspieler uns am Ball zu halten - und zwar ohne großangelegt detailierte Schreckensszenen, nein - nach und nach umwebt und sickert das Grauen in uns ein. Wir sind oft der Haupterzählerin, Tina, in unseren Vermutungen schon einen Schritt voraus und können so unserer Schreckensphantasie unbegremst Raum verleihen.

Wer sich nicht mit einem Psychothriller anfreunden kann, mit den abartigen Empfindungen eines Pädophilen und Mörders und dessen konstruiertes Lügengewebe, der wird die 400 Seiten zu lesen als Qual empfinden. Doch wir sind der Beobachter, der Schuldige steht schon am Anfang fest. Wir sollen ihn und sein Umfeld begleiten, um zu begreifen und die Augen nicht vor diesem Irrsinnn zu verschließen. Es ist eine aktuelle Thematik, die Isolde Sammer in Romanform anspricht.Vom Mitschnacker zum Pornoring. Sie hätte sich so oder ähnlich tatsächlich real abspielen können. Das macht glaubwürdig. Und das ist der rote Faden in diesem Buch.
 
Auch wird die Frage nach empfundener Schuld und nicht empfundener Schuld beleuchtet und deren Konsequenzen, bzw, letztendlich der Korrektur durch das Schicksal.
In diesem Roman ist kein Held in Sicht. Erst auf den letzten Seiten wird das Schicksal eingreifen: Wir erleben eine Heldentat aus unverhoffter Seite, so dass doch noch die ersehnte Gerechtigkeit eintritt und wir uns zufrieden zurücklehnen, um die übermittelten Anregungen noch einmal Revue passieren zu lassen.
Ein Lob an Isolde Sammer, den Rahmen auf nur einige Personen zu begrenzen und das nicht allzu detailgetreue Grauen, so dass der Gedanke an Voyerismus nicht auftaucht. Das ist die Reife und Glaubwürdigkeit ihres Erstlingsromans. Hut ab.