Aufrüttelnd

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im_lesehimmel Avatar

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Unter dem Bett ihrer Großmutter finden die Schwestern Bibiana und Belonisia einen alten Koffer. Darin finden sie ein großes Messer und ihre Neugier nimmt ein tragisches Ende, denn eine verliert dabei ihre Zunge.
Ihr Vater ist eine Heiler, der mit seinem Pflanzenwissen anderen hilft und in den bei Sessions Geister fahren und ihre Großmutter spricht mit den Toten.
Der Klappentext beschreibt weiterhin, dass sich die Schwestern gegen dieses spirituelle Leben auflehnen und die eine die Stimme der anderen ersetzt.
Im Gegenteil, das Familienleben erschien mir sehr respektvoll und harmonisch, aber schon während des Lesens habe ich die Kritik an Sklaverei, Ausbeutung, Unterdrückung und Umweltzerstörung stark wahrgenommen. Die Schwestern verstehen sich ohne Worte und geben durch ihr Handeln den Unterdrückten ihre Stimme.

Das Buch beschreibt das einfache Leben auf einer brasilianischen Facenda. Die Bewohner haben keinen Besitz, aber ausreichend zu essen, um zu überleben. In Notzeiten kommt auch mal der Verwalter vorbei und bedient sich ungefragt an den Vorräten der Bewohner, was ich unglaublich erniedrigend fand. Dieser Betrug an den Mittellosen, die es nicht besser wissen und weiterhin Sklaven sind, obwohl sie als Arbeiter bezeichnet werden, hat mich sehr wütend gemacht. Halt gibt ihnen die Spiritualität und nach und nach erwacht bei der jüngeren Generation das Bedürfnis, sich aus der Abhängigkeit der Grundbesitzer zu befreien und für die eigenen Rechte einzustehen.
Beide Schwestern finden ihren Weg, um sich für Grundrechte oder/und Frauenrechte einzusetzen, aber eher getrennt als gemeinsam. Sie erzählen abwechselnd. Dabei habe ich die Schwester ohne Zunge als wesentlich stärkere Person wahrgenommen. Sie war für mich die lautere Stimme, selbst ohne Zunge und Sprache. Genauso wie der Titel stand für mich das Unglück zu Beginn als Metapher.

Die angesprochenen Themen und das Eintauchen in diese fremde Welt haben das Buch für mich lesenswert und bewegend gemacht. Die Beschreibungen des Lebens und der geheimnisvollen Rituale sind eindrücklich.
Den Aufbau des Buches fand ich teils schwer nachvollziehbar und ich habe den alles verbindenden Faden vermisst. So hat mich das plötzliche Auftauchen „der Verzauberten“ eher irritiert. Plötzlich driftet die Geschichte wieder ins Mystische ab. Das fand ich sehr schade, denn das Buch hat das Potential aufzurütteln.

Ein fesselndes Buch mit der wichtigen Botschaft sich auf seine Wurzeln zu besinnen und für seine Freiheit zu kämpfen.