Wenn Frauen verrückt erklärt werden

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petris Avatar

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Die Geschichte der modernen Psychiatrie ist ein trauriges Kapitel der Menschheitsgeschichte. Kranke wurden gefoltert, missachtet, eingesperrt und verabscheut. Ende des 19. Jahrhunderts haben sich die Umstände in der berühmten Salpetrière zwar wesentlich verbessert, der Umgang mit den Frauen, die dort wegen ihrer Depressionen, ihrer Nervenzusammenbrüche, ihrer Traumen (damals nannte man das Melancholie und Hysterie) behandelt wurden, war allerdings skandalös. Sie wurden vorgeführt, waren eingesperrt, von ihren Familien und Freunden verlassen. Viele von ihnen nur dort, weil sie unbequem, aufmüpfig, anders oder einfach nur mutig waren, oder sich gegen die Gewalt ihrer Männer gewehrt haben. So viel zu den Fakten. In diesem Umfeld verspricht der Klappentext berührende Solidarität, unbeirrbaren Mut und einen Aufbruch derer, die sich nicht zufrieden geben.
Davon habe ich leider sehr wenig gefunden in der Geschichte. Im Gegenteil, sie war mir viel zu unkritisch, viel zu sehr stand die Hochachtung vor den Ärzten im Vordergrund, die Schilderung des Alltags viel zu positiv, man bekam fast den Eindruck, dass es nicht so schlimm sei und manche ja gar nicht weg möchten.
Im Mittelpunkt stand Louise, eine junge Frau, die nach dem Missbrauch durch ihren Onkel eingeliefert wurde und schwere Anfälle hat, Géneviève, die Oberschwester, die seit zwanzig Jahren ziemlich kühl das Regiment führt und Thérèse, die Tote sehen kann. So ist auch sie es, die als Beispiel für Mut und Befreiung dient, für mich kein gut gewähltes Beispiel, da bei weitem nicht erwiesen ist, dass es tatsächlich Menschen gibt, die mit der Geisterwelt in Kontakt treten können, vielmehr ist man sich ziemlich sicher, dass Visionen und Geistersehen tatsächlich mit Fehlschaltungen im Gehirn zusammenhängen, damit wäre eine der wenigen tatsächlich Kranken das Beispiel für die ungerechte Behandlung von in Wirklichkeit gesunden Frauen, das passt nicht. Ohne Esoterik und Spiritismus in der Geschichte, wäre die Kritik eindeutiger und klarer gewesen.
Leider finden sich im Buch auch einige Fehler, sprachlich ist es eher trivial, die Figuren sehr flach gezeichnet. Es liest sich dennoch ganz gut, Timing und Erzähltempo sind gut gewählt. Und das Thema hätte wirklich viel Potential gehabt.
Schade, ein tolles Thema in die Form eines Frauenromans gebracht, das hat für mich leider nicht funktioniert.