Mordermittlungen im Krieg

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thelidel Avatar

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Was zunächst konfus klingen mag, ist die Realität in diesem Roman: Im 1940 von den Deutschen besetzten Paris werden am Gare d’Austerlitz vier tote Polen aufgefunden. Édouard, Eddie, Giral übernimmt die Ermittlungen, bei denen ihm die Deutschen unendlich viele Steine in den Weg legen. Für ihn beginnt ein Drahtseilakt, bei dem auch sein eigenes Leben immer wieder in Gefahr gerät. Er versucht den Täter zu entlarven, ohne den Deutschen zu sehr auf die Füße zu treten, was nicht immer gelingt. Er trifft auf unerwartete Widerstände in den eigenen Reihen und muss versuchen, sich selbst treu zu bleiben, da die Deutschen ständig versuchen, die Ermittlungen in die von Ihnen gewünschten Bahnen zu lenken. Gleichzeitig hat er mit sich selbst und den Vorwürfen seines überraschend aufgetauchten Sohnes zu kämpfen.

Die Geschichte wird aus Sicht Eddie Girals erzählt, den wir bei seinen Ermittlungen begleiten. Der Charakter wird sehr lebhaft mit all seinen Schwächen und seinen inneren Kämpfen gezeichnet, was ihn nahbar und sympathisch macht. Gleichzeitig ist Eddie aber auch ein durchtriebener Ermittler, der durch perfide Kniffe, meist mit hohem Risiko verbunden, diejenigen austrickst, die ihn manipulieren wollen, um seine Ermittlungen voranzutreiben. Immer wieder tauchen kürzere Episoden aus seiner Vergangenheit zwischen den Kapiteln auf, in denen man viel über seine Beweggründe und Entscheidungen erfährt. Dadurch, dass die Rückblenden so kurz gehalten werden, tun sie der Spannung keinen Abbruch, sondern liefern vielmehr nützliche und spannende Informationen, die für das weitere Verständnis der Geschichte und des Charakters notwendig sind.

Der Krimi spielt immer wieder mit der Frage, worin der Sinn liegt, während eines Weltkrieges mit tausenden von Toten, nach den Mördern einzelner Personen zu suchen. In dieser hoffnungslosen Situation scheinen Mordermittlungen wie ein Tropfen auf den heißen Stein, ja fast schon unsinnig zu sein. Auch Giral muss diese Frage für sich selbst beantworten und gleichzeitig bekommt der Leser immer wieder neue Ansätze geliefert, die Antworten bieten, was, wie ich finde, wunderbar gelöst ist. Giral beantwortet diese Frage für sich, in dem er versucht „Gerechtigkeit für die vier Männer zu erlangen […], um den ungestraften Mord an Millionen zu entschuldigen“. Seine Aufgabe sei es eine „Lösung für das geringere Übel zu finden“. An anderer Stelle wird gewarnt, „dass wir Mord gegenüber nicht gleichgültig werden und nicht mehr unterscheiden können, was akzeptabel ist und was nicht.“ Die wohl einfachste Antwort findet sich in der Aussage „[…] damit die Zivilisation nicht zusammenbricht, müssen wir Mord weiter bestrafen […]“.

Man hat den Eindruck, dass sich Giral in die Ermittlungen stürzt, um in diesen Zeiten irgendeinen Sinn zu finden und nicht verrückt zu werden. Er steht unter enormem Druck, da er sich gegen alle Seiten behaupten muss und ein gefährliches Spiel mit den Nazis zu spielen beginnt. Ironischerweise erinnern die Entscheidungen, mit denen er sich konfrontiert sieht, an de Gaulles „Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg!“. Diese Frage muss Giral bei seinen Ermittlungen des Öfteren abwägen: Die Mörder identifizieren oder einem höheren Ziel zugunsten schweigen. Dabei handelt er sehr viel besonnener als sein Sohn, dessen Aktionen des Öfteren jugendlichem Leichtsinn zu entspringen scheinen.

In diesem Roman habe ich eine andere Sicht auf den zweiten Weltkrieg kennen gelernt, was wirklich spannend war. Die Auflösung musste ich zwei Mal lesen, da sie recht kompliziert war und es viele Verstrickungen gab. Das Buch hat mich des Öfteren zum googlen – bspw. historischer Begebenheiten – animiert, was für mich immer positiv zu bewerten ist. Auch die Anmerkungen des Autors am Ende fand ich hilfreich und wertvoll. Ein spannender Kriminalroman in den wirren des zweiten Weltkriegs: Für Krimiliebhaber und alle mit Interesse an Frankreich während der deutschen Besatzung, eine klare Empfehlung.