Abgründe einer Familie in sommerlicher Idylle

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lia48 Avatar

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„Das Einzige, was noch schlimmer war als plötzlicher Lärm, war plötzliche Stille, denn dann kam die Gewissheit von früher zurück: Wenn die Geräusche verschwinden, verschwindet die Welt, und je stiller es wurde, desto stärker wurde sein Gefühl, den Kontakt mit der Wirklichkeit zu verlieren.“

INHALT:
Drei Brüder in Anzug und Krawatte sitzen weinend und übel zugerichtet auf der Treppe ihres früheren Ferienhauses. Eine Urne liegt neben ihnen im Gras. Sie wollen die Asche der Mutter am See verstreuen.
Erinnerungen an ihre Kindheit erwachen: Wie sie um die Liebe der Mutter gekämpft haben. Wie die Stimmung der Eltern jederzeit kippen konnte. Und was damals noch geschehen ist.
Wie konnten sich die Brüder nur so auseinanderleben? „Was ist bloß mit ihnen geschehen? (...) Sie waren alle da, (...) und dennoch allein.“ Ob es noch eine Chance für sie gibt, um wieder zueinanderzufinden?

MEINUNG:
Abwechselnd berichtet das Buch aus der Vergangenheit und Gegenwart und nimmt dabei die Perspektive von Benjamin, dem Mittleren der Brüder, ein.
Er ist derjenige, der das Treiben der Familie und die Stimmung der Eltern immer genau beobachtet.
Ich fand es bewegend, wie er versucht hat, die Familie zusammenzuhalten.
Das verantwortungslose und vernachlässigende Verhalten der Eltern, die häufig alkoholisiert waren, hat mich sehr wütend gemacht.
Und es ist auch nicht einfach zu lesen, wie die Brüder in der Kindheit aufeinander losgegangen sind. Wie sie durch die Eltern manchmal gegeneinander aufgestachelt wurden und miteinander konkurrierten. Und trotzdem hatten sie damals eine Verbindung. Gemeinsame Erlebnisse. Ihre Eltern. Daher habe ich mich lange gefragt, was zwischen den Brüdern denn nun eigentlich vorgefallen ist, dass sie sich so voneinander entfernt haben. Es sei gesagt, die Antwort findet man gegen Ende im Buch. Eine Wendung, die mich definitiv überraschen konnte. Richtig gut!

Zwischendurch gab es für mich ein paar Längen. Vermutlich deshalb, da ich mir lange nicht vorstellen konnte, in welche Richtung sich der Handlungsstrang der Vergangenheit, entwickeln würde. Trotzdem gab es immer wieder interessante Stellen.
Gegen Ende hat mich das Buch dann aber so richtig gepackt!

Auch der klare Schreibstil hat mir gut gefallen. Vor allem die Beschreibungen über die Natur (Haus am See, Wald), in der sich die Brüder oft aufhielten, ließen Bilder vor meinen Augen entstehen und wirkten atmosphärisch.

FAZIT: Die Geschichte gibt Einblicke in die Abgründe einer Familie in sommerlicher Idylle. Sprachlosigkeit, Schweigen und Schuldgefühle haben sich verankert.
Ein eher trauriges, melancholisches und phasenweise beklemmendes Familiendrama, das man sich durchaus zu Gemüte führen kann, wenn einem danach ist (TRIGGERWARNUNG: Tod/ Sterben; Suizidalität).
Mehr möchte ich über das Buch gar nicht verraten. Lest es selbst! 4/5 Sterne!