Die Einsamkeit der Brüder

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petris Avatar

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Die Überlebenden besticht schon optisch mit der Schlichtheit des Covers. Dieser Eindruck setzt sich auch im Lesen fort. Sprachlich karg und dennoch sehr poetisch wird diese Geschichte erzählt.
Drei Brüder, die in einer problemhaften Familie aufwachsen. Die Eltern sind Alkoholiker, die Kinder oft sich selbst überlassen, vernachlässigt. Die Wohnung ist schmutzig, die Kinder ungepflegt. Einerseits gibt es strenge Regeln, doch die sind inkonsequent, es gibt Momente der Nähe mit den Eltern, nach denen die Buben lechzen und dann herrscht wieder eine unglaubliche Kälte und Gleichgültigkeit.
Nils, Benjamin und Pierre haben unterschiedliche Taktiken entwickelt, um damit umzugehen, der Älteste zieht sich zurück, erzielt die Anerkennung der Eltern mit guten Leistungen in der Schule. Seine Brüder hassen ihn dafür und machen ihm oft das Leben schwer. Benjamin, der Mittlere, ist der Beobachter, der immer versucht, die Familie zusammenzuhalten, auszugleichen. Und Pierre, der Jüngste, entwickelt Aggressionen, ist immer in Kampfhaltung, gibt die Aggressionen, die er in der Familie erlebt, weiter. Es gibt die Momente, wo sie füreinander da sind, aber meistens versucht jeder auf seine Weise, mit dieser Familie zurechtzukommen und buhlt um die Aufmerksamkeit der Eltern.
Den Sommer verbringen sie immer in einem alten Holzhaus an einem See, inmitten einer Idylle aus Wald und Natur. Bis zu jenem letzten Sommer. Was ist passiert? Warum drifteten sie danach nur noch weiter auseinander?
Viele Jahre später kehren die Brüder mit der Urne der Mutter gemeinsam an jenen Ort zurück, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Sie wünscht sich, dass ihre Asche am See verstreut wird. Ist das ein Anlass für einen Neuanfang? Können sie endlich über Vergangenes reden?
Interessant ist der Aufbau des Romans. Die beiden Stränge werden in unterschiedlicher zeitlicher Richtung erzählt und treffen sich jeweils an der Hütte am See. Die Geschichte der Brüder wird chronologisch von jenem letzten Sommer weg erzählt, während der Tag, an dem die Brüder mit der Urne zum See fahren, rückwärts erzählt wird. Das erzeugt Spannung, ist sehr gut gemacht, ohne überkonstruiert zu wirken.
Dem Autor gelingt es, uns immer wieder zu überraschen, die Stimmung zwischen Bedrohlichkeit und wenigen Momenten des Familienglücks steht im extremen Gegensatz zu den Beschreibungen der idyllischen Natur. Auch das erzeugt Spannung und macht die Gewalt in der Familie noch schwerer erträglich.
Ob es tatsächlich ein großes Geheimnis gab in jenem Sommer, das wird hier nicht verraten. Und ob die Brüder tatsächlich einen Neuanfang schaffen, das lässt der Autor offen.
Ein ungewöhnlicher, sehr schön erzählter, sehr komplexer und berührender Roman. Das Ende ist gut gemacht, für mich war es dann doch in ein paar Punkten nicht ganz schlüssig und vielleicht auch ein wenig zu dramatisch.
Dennoch ein sehr lesenswerter, sehr spannender und hochliterarischer Roman, den ich wärmstens empfehlen kann.